Offener Brief zur Gottesdienstgestaltung

gemeindehausLiebe Hohe Räte, Pfahlpräsidenten und Gemeindeleiter,

zunächst möchte ich betonen dass ich mit meinen Worten eine gute Absicht verfolge und niemanden vor den Kopf stoßen möchte. Ich bin jedoch auch davon überzeugt, dass Organisationen von konstruktiver Kritik profitieren können.

Heute, am Sonntagmorgen, wo ja viele HLTs die Kirchenversammlungen besuchen, möchte ich mir ganz bewusst mal die Zeit nehmen, um von zu Hause aus einen Brief an Euch zu verfassen.

Die erste Nachricht des Tages die mich heute früh morgens erreichte, war von einer Facebook-Freundin, die von ihrem Besuch der Abendmahlsversammlung in Neuseeland erzählte. Das Thema der Hohe-Rats-Botschaft dort lautete: „Der angemessene Gebrauch der sozialen Medien“. Sie empfand die dann folgende Ansprache als einen Versuch, Informationen von Mitgliedern fernzuhalten und von einer bestimmten Nutzung des Internet abzuhalten und drückte ihre Gefühle darüber folgendermaßen aus:

„Ich bin der Versuche, meine Gedanken zu kontrollieren, sehr müde geworden.“

Die Worte meiner Freundin aus Neuseeland kann ich aktuell extrem gut nachvollziehen: Es ist gerade 14 Tage her, da durfte ich selbst miterleben wie sich ein Hoher Rat in einer Schweizer Gemeinde berufen sah, die Anwesenden vor der Auseinandersetzung mit „gefährlichen“ Informationen und Materialien zu warnen. Er zeigte sich erstaunt darüber, dass Mitglieder, sogar in seinem engen Freundeskreis sich mit sowas beschäftigen. Sein Rat: Alles ignorieren, und nur mit den einfachen Wahrheiten des Evangeliums beschäftigen, um nicht vom „richtigen Pfad“ abzukommen.

Mein ganzes Leben lang habe ich auch als Mitglied der Kirche in Deutschland in Klassen und Ansprachen beigebracht bekommen, dass bestimmte Informationen „gefährlich“ sein können und mich vom „rechten Pfad“ abbringen können. Daher war das was ich die letzten Sonntage hörte im Grunde genommen nichts Neues, aber es ist schon erstaunlich wie sehr sich das gerade häuft.

Heute muss ich mal ein paar Gedanken und Fragen zu dieser Art der Gottesdienst-Gestaltung loswerden:

  1. Ist Euch bewusst, dass Ihr mit solchen Ansprachen etwas praktiziert, das man gemeinhin als Informations- und Meinungskontrolle beschreiben würde und das unseren allgemein gesellschaftlich akzeptierten Grundwerten gravierend widerspricht?
    Wenn Kirchenführer ihre Autoritätsposition dafür gebrauchen, ihren Mitgliedern (ohne Rücksicht auf das Alter) zu lehren, dass bestimmte Informationen oder Meinungen gefährlich sind, wird Angst instrumentalisiert, um das Denken zu beeinflussen. Und das fällt leider in die oben genannte Kategorie. Dass die Meinungsfreiheit bspw. in Deutschland im Grundgesetz verankert wurde, ist eine Errungenschaft, die gegen den Einfluss von Staatskirchen durchgesetzt werden musste. Wir behaupten doch eigentlich, die wiederhergestellte Urkirche und damit besser als die Staatskirchen zu sein. Was haben dann Methoden der Meinungskontrolle in unseren Versammlungen verloren?
  2. Wovor haben wir HLTs eigentlich Angst? Welche Informationen sind denn so gefährlich, die unsere Mitglieder da draußen finden würden?
    Normalerweise fürchtet man sich doch eigentlich nur vor Neuigkeiten, wenn man vermutet dass die Informationen, auf die man bisher gebaut hat, auf wackligen Füßen stehen. Ansonsten kann man nämlich ganz beruhigt sein. Oder glaubt Ihr im Ernst dass alle kontroversen Informationen im Netz eine bösartige Lüge sind und dass die ganze Welt sich auf hinterhältige Weise gegen die Mormonen verbündet hat? Dass dem nicht so ist, bestätigte vor kurzem Patrick Mason auf einer FairMormon Konferenz. Er bestätigte auch, dass auch viele Informationen im mittlerweile sehr bekannten CES Letter nicht einfach als antimormonische Lüge abgetan werden können. Noch einmal: Wenn alles was wir von kirchenoffizieller Seite hören, der Wahrheit entspricht, warum sollte man dann Angst haben wenn sich Menschen mit den Fakten bezüglich dieser Themen auseinandersetzen?

    „Wenn wir die Wahrheit haben, dann kann Überprüfung ihr nicht schaden. Wenn wir die Wahrheit nicht haben, dann sollte ihr geschadet werden.“
    Präsident J. Reuben Clark

    Die Auseinandersetzung mit den problematischen Themen der HLT-Geschichte wird wahrscheinlich dazu führen, dass sich unser Glaube verändert, aber diese Veränderung kann ein Fortschritt sein, denn wir lernen mit Komplexitäten umzugehen. Gleichzeitig werden wir aber unserem eigenen Wahrheitsanspruch gerechter denn wir hören auf, die Kirchengeschichte zu glätten und zu beschönigen. Wir nähern uns endlich wieder den fälschlich diskreditierten Menschen in unseren Reihen an, die schon seit jeher wussten dass die Kirchengeschichte deutlich problematischer ist als wir es jemals in der Kirche vermittelt bekamen.
    Die Wahrheit die ans Licht kommt mag vielleicht hässlich und beängstigend sein, aber ist es für eine Kirchengemeinschaft mit so hohem Wahrheitsanspruch nicht an der Zeit, sich auch der ganzen Wahrheit zu stellen? Die ganze Wahrheit wird uns zum Nachdenken bringen und unser bisheriges Weltbild verändern, so viel ist sicher, (das lässt sich erahnen wenn man die Informationen bereits kennt) aber nur sie kann dazu beitragen, dass wir uns nachhaltig weiterentwickeln.

  3. Ihr sagt vielleicht: „Ich befolge nur die Anweisungen von ganz oben“ oder „Alle Anderen machen es auch“.
    Dazu sage ich: Dies ändert nichts an der Tatsache, dass Ihr und nur Ihr für Eure eigenen Haltungen, Worte und Handlungen verantwortlich seid. Es ist eine schwache Ausrede, Methoden der Informations- und Meinungskontrolle in den eigenen Gemeinden Raum zu geben nur weil man es von oben gesagt bekommen hat oder weil es die Mehrheit der sonstigen Führungskräfte auch tut.
    Wir als Deutsche sollten aus der Geschichte gelernt haben, wie gefährlich „Gruppendenken“ sein kann und wie wichtig es wäre, dass wir stattdessen kritisches individuelles Denken fördern und stärken. Ja, auch wir HLTs haben bereits häufig in der Geschichte kollektiv anderen Menschen geschadet: Wir haben als Kirchenkollektiv die Schwarzen immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt, als der Rest der Gesellschaft den Rassismus schon weitgehend hinter sich gelassen hatte. Wir müssen aufpassen, dass sich dies nicht wiederholt. Aktuell befürchte ich, wiederholt sich dies in Bezug auf LGBT-Mitglieder, Frauenrechtler, Kirchenhistoriker und Intellektuelle.
  4. Ihr sagt vielleicht: „Ich möchte dass ich gemeinsam mit meinen Lieben errettet werden kann. Die Informationen im Internet sorgen dafür, dass meine (Gemeinde-)Familie auseinanderbricht, weil dann manche nicht mehr an die Kirche glauben.“Dazu frage ich: Muss der Preis der gemeinsamen Errettung sein, dass alle Familienmitglieder ein gleichgeschaltetes religiöses Denken haben? Müssen alle Familienmitglieder gleich glauben, damit eine gemeinsame glückliche Zukunft möglich ist?
    In Wirklichkeit führt die Informations- und Meinungskontrolle doch dazu, dass viele Familienbeziehungen ernsthaft beschädigt werden. Wenn ein Familienmitglied auch nur einen Teil der Wahrheitsbehauptungen der Kirche nicht glauben kann, beginnen die Probleme. Gedanken werden auf ungesunde Art und Weise geheim gehalten aus Angst, man könne Familienmitglieder vor den Kopf stoßen und den Familienfrieden gefährden, einzelne Familienmitglieder werden beschämt, Ehen werden brüchig, etc. Wenn es uns so sehr um den Zusammenhalt der Familie geht, wäre der beste Weg, wenn wir die vielfältigen Kontrollversuche unterlassen und stattdessen bessere christlichere Vorbilder sind. Wir zahlen aktuell einen viel zu hohen Preis für die weiterhin scheiternden Versuche, mit Informationskontrolle unsere Familien zusammenzuhalten.
  5. Gibt es nicht wichtigere Themen in der Kirche zu besprechen? Meine Facebook-Freundin von oben machte auch gleich einen Vorschlag:

    „Gebt [die Kontrollversuche] auf und lasst uns das Brot Christi brechen und darüber sprechen wie revolutionär die Botschaft Jesu eigentlich wirklich ist.“

    Gina, so der Name meiner Facebook-Freundin, entschied sich nachmittags an den Strand zu gehen und schrieb:

    „Heute morgen hätte ich auf mein Bauchgefühl hören sollen [das mir sagte, ich solle nicht in die Gemeinde gehen.] Aktuell kühle ich mich am Strand etwas herunter und fühle dass mein Geist sich hier weiter und freier fühlt.“

Aktuell besuche ich  selbst die Kirche unter Anderem aus den oben beschriebenen Gründen deutlich weniger als früher. Ihr würdet es mir leichter machen die Kirche wieder mit mehr Freude zu besuchen, wenn Ihr die Kontrollversuche aufgeben würdet. Eigentlich finde ich vieles in der Kirche immer noch sehr erstrebenswert. In diesem Sinne wünsche ich Euch einen gesegneten Sonntag,

Guido Müller
(meine Geschichte findest Du hier)

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Adelheid Schnell
Adelheid Schnell
7 Jahre her

„Auch mich hält die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zunehmende Kontrolle, davon ab öfter die Versammlungen zu besuchen. Welche Kontrolle meine ich: Vor über 20 Jahren durften wir noch das Thema unserer eigenen Ansprachen mit Gebet und dem Heiligen Geist selbst wählen und die Ansprachen und die mit Gebet ausgesuchten Lieder haben wunderbar zusammengepasst und uns erbaut, viel mehr als jetzt, da wir langsam entmündigt werden. Das andere Kontrollorgan, das zum Teil sehr respektlos gegen die Menschenwürde eingesetzt wird, ist das Tempelinterview. Ehemals in meiner Kindheit war ich katholisch und habe gebeichtet, aber das Tempelinterview ist dagegen schon eine Inquisition (auf Deutsch: Ein Verhör).Sollte es nicht ganz anders verlaufen, nämlich, dass jeder sich die gestellten Fragen selbst beantwortet und am Ende nur auf die letzte Frage eine Antwort geben muss: Fühlen Sie sich würdig in den Tempel zu gehen? Denn jeder kann und sollte dies doch mit seinem ehrlichen Gewissen selbst entscheiden können, ohne dass über ihn ungerecht gerichtet wird, denn die wenigsten haben es lernen dürfen mit dem Geist Christi zu beurteilen. Aber noch nicht einmal Jesus Christus ist gekommen um zu richten: „Gott sandte seinen Sohn nicht in die Welt um sie zu richten, sondern um sie zu erlösen.“ Joh 3:17.“ Mit herzlichen Grüßen Adelheid Schnell