Diskussion: Junge Männer Wahlspruch

Autor: Guido Müller

Bei seinem letzten Kirchenbesuch während seines Sommeraufenthalts hier in Europa hat mein Sohn in der Sonntagsklasse vor Ort den neuen JM-Wahlspruch (Aaronisches Priestertum) gemeinsam mit den anderen Teilnehmern der Klasse aufgesagt.

Der neue JM-Wahlspruch

Wie manche bereits wissen haben die Jungen Damen schon länger einen Wahlspruch bzw. ein Motto, nun seit einigen Monaten auch die Jungen Männer. Und in einigen Gemeinden wird dieser nun vor dem Unterricht aufgesagt.

Habe mir heute morgen mal den Text angeschaut und dachte mir: Viele mit der heutigen Jugend frustrierte Eltern werden wahrscheinlich jubeln und frohlocken, wenn sie den Spruch sehen. Und ich bin mir sicher, das Mindset des Textes sorgt dafür, dass manche Jugendliche ihre Ziele in Richtung von Familie und christlichem Leben ausrichten. Klingt auf den ersten Blick gut, und für viele unter ihnen sogar auf den zweiten. Hier der Text des Spruches:

+++

Ich bin ein geliebter Sohn Gottes
und er hat eine Arbeit für mich.
Mit ganzem Herzen, aller Macht,
ganzem Sinn und aller Kraft will ich Gott
lieben, meine Bündnisse halten und das
Priestertum dazu einsetzen, anderen zu
dienen, angefangen bei meiner Familie.Ich strebe jeden Tag danach, anderen
zu dienen, Glauben auszuüben,
umzukehren und besser zu werden,
und dies befähigt mich, die Segnungen
des Tempels und die beständige Freude
des Evangeliums zu empfangen.Ich bereite mich darauf vor, ein fleißiger
Missionar, treuer Ehemann und
liebevoller Vater zu werden, indem ich
ein wahrer Jünger Jesu Christi bin.Ich trage dazu bei, die Welt auf die
Rückkehr des Erretters vorzubereiten,
indem ich alle Menschen einlade, zu
Christus zu kommen und die Segnungen
seines Sühnopfers zu empfangen.


© 2019 Intellectual Reserve, Inc. Das Original trägt den Titel: Aaronic Priesthood Quorum Theme. German.

+++

Erst beim näheren Hinsehen und tieferen Nachdenken fallen mir dann die Knackpunkte auf – evtl. war das Analysieren der Implikationen dieses Textes nicht erwünscht oder nicht vorgesehen?

1. Man kann einen noch so schönen, aufbauenden Text zum Aufsagen kreieren, aber sobald man ein Commitment für junge Leute diesen Alters einbaut, dass man quasi verspricht, in den Tempel zu gehen und die „Tempelsegnungen“ zu empfangen, ist die gesamte HLT-Konformitätsmaschinerie unbewusst in Gang gesetzt, inkl. der Verpflichtung, im Tempelinterview die richtigen Antworten geben zu können. Diese Beinhalten Verpflichtungen zum „Führwahrhalten“, Verpflichtungen zur Akzeptanz der Autorität des Kirchenpräsidenten, Verpflichtungen zum Keuschheitsverständnis der Kirche, etc. etc. Wie soll ein Junger Mann in dem Alter sich auf sinnvolle Weise bereits zu all diesen Punkten bekennen?

2. Man stelle sich vor, ein LGBT-Jugendlicher hört diese gesamten Punkte und soll in dem Wahlspruch sein Bekenntnis äussern, Vater zu werden. Viele die ohne es jetzt genau zu wissen später LGBT sind bzw. werden, haben bei so einem Text einfach kein gutes Gefühl. Und es ist falsch, diese Äusserlichkeit in einen Wahlspruch für alle Jungen Männer aufzunehmen.

3. Während man sich im amerikanischen Kulturkreis, bei dem in der Schule der „Pledge of Allegiance“ aufgesagt wird, nicht so viel denkt bei so nem gemeinschaftlich aufgesagten Spruch, ist das in anderen Kulturräumen deutlich problematischer. Hat man da mal wieder primär den amerikanischen Geschmack im Kopf gehabt, wie bei so vielen anderen Dingen in der Kirche?

Habe versucht, respektvoll meine Meinung zu diesem Wahlspruch zu äussern und würde mich über ein respektvollen Austausch freuen.

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C.S.
C.S.
2 Jahre her

Irgendwelche Sprüche gemeinschaftlich aufzusagen passt nicht in unseren Kulturkreis. Kommt auch bei den meisten jungen Menschen (und oft auch bei den Erwachsenen, die für JD und JM zuständig sind) nicht gut an. Ist eins der Dinge, die man tatsächlich generell mal sein lassen könnte in der Kirche.

R.D.
R.D.
2 Jahre her

Danke Guido
Ich habe schon mit solchen Wahlsprüchen schon immer meine Mühe gehabt, auch mit gewissen Liedern die manipulativ wirken und uns aufzwingen etwas auszusagen was nicht zu uns persönlich passt. Solches unterbindet die Diversität die Gott uns mit ins Leben gegeben hat.

Astrid
Astrid
2 Jahre her

Ich finde es freiheitsraubend, dass 11 Jährige schon mit sanftem Druck auf die Einhaltung von Bündnissen gedrängt werden bei deren Schließung sie noch viel zu jung waren um sich wirklich frei dafür zu entscheiden
Ich habe es immer schlimm gefunden dass junge Menschen derart auf den Tempel eingeschworen werden.
Was wenn sie das nicht wollen. Mit Tempel und „würdigkeit“ ist man Mt Haut und Haar in der Indoktrinations Maschinerie ( was ist gut/ schlecht…oder erlaubt nicht erlaubt)
Ich merke es den meisten jungen Verwandten an wann sie von fröhlichen Menschen zu schwarz weiß denkenden Menschen, denen ein sehr forderndes Konzept übergestülpt wird – ohne deren aktive Einwilligung.
Diese Gleichmacherei hab ich bei den JD schon so schrecklich gefunden.

Folkhard
Folkhard
2 Jahre her

Um die positiven Aspekte, wie z.B sich auf eine Partnerschaft und familie vorzubereiten, den guten Prinzipien zu folgen, sich für andere einzusetzten, bedarf es keines Spruches, den man jeden Sonntag aufsagen muss.

Guido
Guido
2 Jahre her

Der Spruch ist der (sorry für mein Deutsch) „feuchte Traum“ aller konservativen Kircheneltern, aber der Alptraum für diejenigen Jugendlichen, die eben nicht in dieses Schema passen.
Fände es ausserdem mal sehr spannend, eine anonyme Umfrage unter den Jugendlichen der Kirche zu sehen, wo sie frei ihre Meinung zu diesen Wahlsprüchen äussern dürfen.

Jonas J.
Jonas J.
2 Jahre her

Ich empfinde es auch als sehr „in eine Form pressend“. Gerade mir als LGBT hätte das immer wieder ganz klar vor Augen geführt, dass die Kirche mich nicht so haben möchte, wie ich von Natur aus bin.
Auch finde ich es problematisch, dass die Jungen Männer laut dem Spruch jeden Tag danach streben sollen, besser zu werden und zu dienen. Natürlich sind das tolle Eigenschaften, aber wenn ich mich an meine Kirchenzeit erinnere, trug ich in mir immer einen enormen Druck und das Gefühl, nie genug zu sein. Wie kann man sich denn JEDEN Tag verbessern?
Außerdem ist man als Junger Mann doch auch in der Pubertät und man hat eventuell seine rebellische Phase, die für die Persönlichkeitsentfaltung super wichtig ist. Viele Jugendliche in der Kirche unterdrücken dann ihr Bedürfnis zu rebellieren und ihr eigenes, unabhängiges Weltbild zu entwickeln. Für die Kirche ist das natürlich toll, denn Hauptsache der männliche Nachwuchs wird irgendwann zu „fleißigen Missionaren“ und „treuen Ehemännern“. Doch dass man dabei seine eigene Identitätsfindung auf den Opferaltar legt, was im
späteren Leben zu enormen Problemen führen kann, das wird in Kauf genommen.
Allgemein finde ich es super, Jugendlichen gute Werte zu vermitteln. Aber nicht mittels Konformitätsdruck und auswendig gelernter Sprüche.

K.R.
K.R.
2 Jahre her

ich erinnere mich mit Grauen an meine Zeit in der JD-Leitung und die sonntägliche Gehirnwäsche. Da werden junge Menschen gedrängt, sich zu Konzepten zu bekennen, deren Tragweite sie nicht im geringsten abschätzen können und/oder die im Widerspruch zu ihrer persönlichen Entwicklung stehen.
Wie viel wertvoller wäre es, den Fokus einfach darauf zu legen, dass sich die Jugendlichen zu selbstständig denkenden Menschen entwickeln – ohne dieses ganze ideologische, dogmatische und letztlich ausgrenzende Geschwurbel!

Robert
Robert
2 Jahre her

Ich habe es schon auf Mission sehr befremdlich empfunden, als man solche Sprüche aufsagen musste. Was bedeuten diese Worte, wenn man sie eigentlich nicht versteht oder eigentlich anders denkt, es aber aus Gruppenzwang sagt? Man wird gezwungen zu etwas zu stehen, wo man noch nicht mal weiß, ob das richtig für einen ist. Man gibt seine eigene Meinung und damit seine Autorität an andere ab. Dadurch verliert man auch das Vertrauen in sich selbst und in dem was man eigentlich denkt und fühlt. Ich würde mich schrecklich fühlen, diesen Spruch aufsagen zu müssen, ganz von dem Inhalt abgesehen.

Mike
Mike
2 Jahre her

Ich wollte nie auf Mission… hätte auch ein Problem gehabt mit der Zeile..

T.S.
T.S.
2 Jahre her

Mir hat sowas schon immer schwer im Magen gelegen, regelmäßig so ein „Mantra“ aufsagen zu müssen. Während meiner Vollzeitmission zum Beispiel. Und da war ich Anfang 20. Und wenn in der PV was gemeinsam aufgesagt werden musste fühlte sich das für mich als kleiner Junge schon komisch an. Auch bedenklich finde ich dieses Lied I hope they call me on a mission…..sind vielleicht alles gute Absichten, aber ich habe schon gesehen, nicht nur bei mir, wie das nach hinten los gehen kann….