„Es war eine wichtige Zeit für mich, eine lehrreiche auf jeden Fall, aber es war nicht meine beste Zeit“

Erfahrungsbericht von Sam

Während ich diese Zeilen schreibe, weiss ich eigentlich nicht in welche Richtung sich mein Post bewegen wird, thematisch gesehen. Eigentlich habe ich vor über meine Eindrücke meiner Vollzeitmission zu schreiben, wahrscheinlich werde ich aber oftmals in andere Themen abdriften. Alles was jetzt folgt ist/sind nur meine Meinung, Gefühle, Gedanken, Eindrücke usw. Wenn jemand andere Ansichten hat ist das kein Problem. Sollte sich jemand angegriffen fühlen, dann bedenke, dass dies keine Absicht von mir ist.

Wie es zu meinem Entschluss kam

Es ist jetzt 10 Jahre und 2 Wochen her, dass ich meine Vollzeitmission angetreten bin und dementsprechend ist es 8 Jahre her, dass ich von selbiger zurückkehrte. Ich diente in der alpenländischen Mission München. Den Entschluss auf Mission zu gehen fasste ich mit 21 Jahren, ca. ein Jahr vor Antritt zur Mission. Das war, wer rechnen und lesen kann weiß es, so Herbst 2010 rum. Weihnachten 2009 kam ich nach 10 Jahre langer Inaktivität in die Kirche zurück.Ich erwähne das kurz um klarzustellen, dass ich mich nicht ein Leben lang drauf vorbereitete. Schon als Kind konnte ich mir das nicht vorstellen, als Teenager nicht und als junger Erwachsener sowieso nicht. Man ging mir aber schon sehr, bald nach meiner Reaktivierung (1 Monat nach meinem ersten Versammlungsbesuch) gehörig mit dem Thema auf die Nerven.(Zu dem Zeitpunkt trug ich nicht mal das Priestertum und hatte nicht einen Cent dafür gespart) Wöchentlich durfte ich mir anhören, dass das der nächste Schritt für mich sein soll (oder möglichst schnell Heiraten, denn ich bin ja jetzt 20 Jahre alt!). Dass ich nicht wieder kehrt gemacht hab‘ zeigte meine Entschlossenheit Gott in den Versammlungen und ausserhalb zu verehren und mich nicht dem Druck zu beugen.Ich hörte nicht auf die Stimmen, sondern suchte Kontakt zu den Mitgliedern, die mir gut taten und mich so mochten und schätzen wie ich bin und nicht wie sie mich gerne hätten. Es vergingen ein paar Monate, ich las viel in den Schriften, diente, nahm am Institut teil usw. bis zum Herbst und während einer Priestertumsversammlung war bekam ich das Gefühl, dass Gott will, dass ich auf Mission gehe (Das Thema war NICHT Missionsarbeit). Ich hatte Pipi in den Augen, musste raus an die frische Luft. Ein Freund merkte, dass ich gerade innerlich kämpfte und unterhielt sich mit mir. Ich weiß den Inhalt nicht mehr, aber es half mir.

Vorbereitung, Endowment, Tempel

Eine Woche später sprach ich mit meinem Bischof und die Dinge nahmen ihren üblichen Lauf. Ich machte mir aber keine Illusionen: Ich wusste, dass es die bis dahin herausfordernste Zeit meines Lebens werden wird (und ich hatte schon einiges bis zu diesem Zeitpunkt erlebt glaubt mir), aber ich wusste nicht auf welche Art es mich herausfordern würde, aber das durfte ich dann sehr bald feststellen.Ich empfing mein Endowment. An dieser Stelle muss ich meine Dankbarkeit gebenüber der damaligen Lehrerin für die Tempelvorbereitungsklasse zum Ausdruck bringen. Sie konnte aufgrund der Vorgaben der Leitfäden und Handbücher auch nicht zu sehr ins Detail gehen, was uns da erwartet, aber sie schaffte es, mich so vorzubereiten, dass der Schock für mich verarbeitbar war. Nun meine 2 ½ Wochen im MTC in England waren an sich sehr schön. Da denke ich ganz gerne dran zurück.

Das weiße Handbuch

Was mir aber damals schon ein bisschen Probleme bereitete: Das White Handbook. Das das eigene Leben so stark reglementierte, dass ich so dachte wie jemand es vor kurzem schon hier gesagt hat: Das sind Regeln für 4 Jährige…. mit viel gutem Willen, vielleicht für 6 Jährige. Es war eher die blinde Umsetzung der Regeln die mich störte. Ich hatte das Gefühl, dass es mir meine Individualität nimmt. Ich habe Verständnis dafür, dass es Regeln gibt, die die Bedeutsamkeit so einer Berufung unterstützen sollen. Und da das Handbuch für die Missionare Weltweit geschrieben war, war mir klar, dass man nicht alles auf die eigene Mission zu beziehen braucht. Es ist mir durchaus begreiflich, dass es für einen Missionar vielleicht nicht ratsam ist „I was made for lovin‘ you“ von KISS zu hören oder so. Das letzte Lied was ich vor Mission mir noch angehört hatte war „While my guitar gently weeps“ von den Beatles aus deren White Album 🙂 . Aber naja was sind schon zwei Jahre Verzicht auf deine Musik, die ein Teil von dir ist, du kannst dir doch in Dauerschleife den Tabernakelchor anhören.
Egal ich schweife ab und das hier ist vielleicht noch mimimi. Was für mich kein mimimi ist, sind die Depressionen in die ich rutschte. Sehr bald stellte sich bei mir der Gedanke ein: Egal was ich mache, es ist nicht gut genug, ich bin nicht gut genug.Ich habe keine Freude dran jeden Tag auf den Strassen, vor Türen usw. das Buch Mormon zu verkaufen. (So fühlte ich mich oftmals, wie ein hastig angelernter reisender Verkäufer)
Die ,,vom Geist inspirierten“ Rollenspiele bei Zonenkonfernzen und hinterher Zonetrainings Grrrr… die mich sehr an die Rollenspielte erinnerten, die man in Verkaufsseminaren durchführt (Während meiner Lehre zum KFZ-Mechatroniker hatten wir auch solche kaufmännischen Lehrgänge man glaubt es kaum!) verstärkten diesen Eindruck nur bei mir. Ich bin unglücklich auf Mission, also muss mit mir was nicht stimmen!

Gehorsame Missionare sind glückliche Missionare

Nur ungehorsame Missionare sind unglückliche Missionare ein oberflächlicher Spruch den man immer wieder hörte verstärkte diesen Eindruck bei mir.Ich versuchte mich anzupassen, so zu funktionieren, wie ich zu funktionieren habe, aber je mehr ich das versuchte, desto unzufriedener wurde ich. Wenn ihr eure Wochenziele (HAUPTINDIKATOREN/Zahlen) nicht erreicht habt, müsst ihr auf die Knie gehen und im Gebet den Herrn um Vergebung bitten und umkehren! (Das war so ein Satz, den ich am Ende meiner Mission hörte und da platzte mir der Kragen endgültig! Aber dazu später)Ich fing an mein Dasein als Missionar zu hassen, ja genau zu hassen. Den Titel Elder fing ich an zu verabscheuen und ich hasste mich noch mehr dafür. Wie kann das sein? Ich diene doch Gott, ich verbreite doch seine gute Nachricht. Wieso macht mich das verdammte S§%&!“e nochmal nicht glücklich? Was ist mit mir los? Wieso kann ich das nicht als die beste Zeit meines Lebens empfinden? Bin ich egoistisch? Bin ich ein Heuchler? Wurde ich getäuscht/verarscht gar? Mir ist einfach nur zum Heulen? Meine Gedanken wurden immer finsterer…..aber ich wollte Gott dienen, ich wollte es doch so sehr, als einer seiner Missionare. Aber es fühlte sich so falsch an was ich da mache. Ich muss weg von all dem Mist! Dann erinnerte ich mich an einen Satz den eine Schwester in ihrer Ansprache sagte einige Zeit vor meiner Mission. Sie sagte:,, Die größte Herausforderung die ich als frische Sister hatte, war der Verlust meiner Identität, man ist nur noch Missionar. Als das wird man angesehen! Sollen die Leute mehr als den Titel an dir sehen, liegt es an dir deine Geschichte und Persönlichkeit zu zeigen! “Als ich mich an diesen Satz erinnerte sagte ich mir: Ich bin nicht Elder ******. Ich bin Elder Sam ******. Ich habe Stärken, ich habe Schwächen, Ich habe Hobbies und Interessen. Ich habe eine Geschichte. Der ,,Ideale“ Missionar bin ich nicht und ich weigere mich so einer zu sein. Ich habe ein Gewissen und danach werde ich handeln. Ich bin bei weitem nicht perfekt, aber das ist keiner außer einer und dem versuche ich zu dienen, nach bestem Wissen und Gewissen. Ich glaube an Gott und er wird mir schon zur Seite stehen. Ab da kam ich mit mir wieder mehr ins Reine, was aber nicht bedeutete, dass die Mission für mich leichter wurde. Aber die Selbstzweifel hörten auf. Es war mir egal, dass ich keine 20 Lektionen/Unterweisungen die Woche hatte. (Mit meinem Trainer hatte ich die, aber die Methoden wie wir das erreichten, Mensch war das mehr als Fragwürdig!) Dass ich mich nicht mehr dagegen gewehrt hab, bereute ich noch lange.Von nun an ignorierte ich, was die in meinen Augen Erfolgsgeilen Zonenleiter und Assistenten,in den Konferenzen und Treffen von sich gaben(Selbstverständlich gab es vereinzelt Ausnahmen, es gibt so viele wunderbare Missionare/innen da draussen!)Ich blendete die merkwürdig orthodoxen vor allem Elders aus, die ihre Goldens(Lehrlinge) bei 30°C im Schatten nicht erlaubten ihre Füße in einem Bach, Fluss, See, was auch immer zu Kühlenaus…Gründen halt * Facepalm *. Versteht mich nicht falsch. Es gab auch weise Worte, von Kollegen usw.Vergleiche deine Schwächen nicht mit den Stärken anderer, war zum Beispiel so ein Rat der mir half.Aber diese Oberflächlichkeiten, dieses bloß nicht den eigenen Verstand benutzen. Stupide nach Regeln, selbst auferlegten Geißelungen handeln…neee das war nichts für mich.

„Es war wie eine jährliche Betriebsversammlung“

Die Zeit auf Mission verstrich….langsam. Ungefähr 3-4 Monate bevor ich heim ging kam der damalige frisch eingesetzte Gebietspräsident in unsere Mission und zog seine Missionstour durch. Mein Eindruck von dieser Tour: Es war wie eine Jährliche Betriebsversammlung in dem es um Gewinne/Umsätze ging und, dass wir sehr viel Potenzial verschwenden.Ihr nehmt euch zu viel Zeit für die Untersucher. 15 min pro Lektion reichen. Ja aber VmE sagt doch 45 min maximal (was oft auch sehr kurz erscheint) und wenn es der Zeitplan des UNTERSUCHERS nicht anders zulässt sollen wir es kürzer halten? Neee 15 min reichen für euch und denjenigen vollkommen aus! So könnt ihr viel mehr Termine wahrnehmen. Als dann die übliche Frage kam: Werdet ihr das tun?…hab ich zum Glück deutlich mit dem Kopf geschüttelt…wurd‘ aber nicht wahrgenommen, anscheinend 🙂
Ein paar Tage später kam es zu der Situation wo dieser Satz mit dem Umkehren wenn man seine Ziele nicht erreicht hat kam. Ich kontaktierte den Missionspräsidenten (war zum Glück nicht der einzige) und fragte ob das im Missionsrat wirklich von ihm und dem Gebietspräsidenten, der an dem Rat teilnahm, so an die Zonenleiter für uns weitergegeben wurde. Er verneinte…Es gab noch so viel mehr was ich sehen musste, als ich hinter die Kulissen sah. Aber vielleicht musste ich das, vielleicht sollte ich genau das sehen um zu lernen mir selbst treu zu bleiben, die Menschen in den Vordergrund zu stellen, nicht die Zahlen. Ich weiß es nicht.

Fazit

Als ich von Mission zurückkam, war ich einfach nur erschöpft und traurig. Es war keine schöne Zeit für mich, es gab gute Momente sicher, aber es war meistens nur unangenehm. Ich freue mich für jede Person die auf Mission war und sagen kann, Das waren meine Best two years (hoffentlich nur bis dato! 🙂 )

Aber ich kann es nicht. Es war eine wichtige Zeit für mich, eine Lehrreiche auf jeden Fall. Aber nicht meine beste Zeit. So langer Text. Aber das hatte ich schon lange vor mich mal zu dem Thema offen zu äussern, hatte bisher nur nie die geeignete Plattform dafür! Dennoch gibt es auch sooooooo viel mehr was mir da noch im Herzen brennt aber ich belasse es erstmal dabei.

Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
4 Comments
Inline Feedbacks
View all comments
Maike
Maike
2 Jahre her

Lieber Timo, danke vielmals für den Bericht. Du sprichst mir beim Wunsch, dass sich da etwas ändern muss, aus dem Herzen.

TRM
TRM
2 Jahre her

Mir ging es ganz ähnlich auf meiner Mission.

Danny Töpfer
Danny Töpfer
2 Jahre her

Auf Wunsch setze ich meinen eben auf fb verfassten Kommentar hier auch nochmal hinein. Viel Text, aber ich hoffe, für einige von euch von Wert 🙂 Ich hatte zum Glück einen wirklich guten Missionspräsidenten, dessen meistverwendeter Satz uns gegenüber war : „Wer keinen Spaß auf Mission hat, hat seine Mission nicht verstanden.“ DIESE Regel hab ich mit Freuden in die Tat umgesetzt hahaha, und es waren wirklich die 2 schönsten Jahre meines Lebens. Nicht Regeln und „white bible“ standen im Vordergrund. Der Rahmen wurde bewusst etwas lockerer gesetzt, und das hat dazu geführt, dass mit den bei uns bestehenden Regeln jeder klar gekommen ist. Während meiner Missionszeit wurde kein einziger Missionar wegen irgendwelchen Regelverstößen nach Hause geschickt. (Das hab ich in Missionen mit sehr strengen Missionspräsidenten völlig anders erlebt – da hat falscher Fanatismus oft auch Widerstand hervorgerufen…). Natürlich gab es trotzdem auch viele Misserfolge. Ist ja auch logisch, wenn man in Deutschland (ich war in der Hamburg-Mission) versucht, seine Religion zu vertreten, 99% der Leute wollen halt nichts davon wissen. Ich hatte als Distriktsleiter , wenn ich neu in ein Gebiet kam, auch durchaus mal Missionare, die seit 3 Monaten keine einzige Lektion belehrt hatten, und die nur noch deprimiert und entmutigt waren. Ich hatte zum Glück alle Freiheiten, mir Zeit für diese Missionare zu nehmen. Und zwar nicht, um sie zur Umkehr zu rufen, sondern um ihnen zu zeigen, wie sie wieder Freude am Missionieren finden konnten. Wie selbst oft öde Dinge wie von Tür zu Tür zu… Weiterlesen »

trackback

[…] ich habe schon einmal einen Beitrag über meine Missionszeit verfasst, also möchte ich nicht wieder darüber schreiben. Es geht mir mehr um die Vorgeschichte und meine […]