„Glaube ist ungefährlich, wenn es Raum für Zweifel gibt“

Eine Analyse von Gwen Eggers

Immer wieder hören wir, dass sich in der Kirche nie etwas ändern wird und dass Reformen ein Wunschdenken seien. Diejenigen, die für einen Wandel einstehen wollen, würden ihre Energien vergeuden und warum sich Ehemalige überhaupt noch engagieren . Es gibt aber dennoch zwei Beispiele in der jüngeren Kirchengeschichte, wo zwei Glaubensgemeinschaften, die orthodox und mit Exklusivanspruch unterwegs waren, dieser Wandel gelungen ist und die sich „ökumenisch entsektet“ haben, oder auf dem Weg dorthin sind. Das sind einmal die Siebenten-Tags-Adventisten und andererseits die Neuapostolische Kirche, die mit 370.000 Mitgliedern in Deutschland und über 10 Millionen weltweit nicht sooo klein ist und in einigen Dingen der HLT Kirche ähnlich ist.

Beispiele für Reformationsprozesse: die Neuapostolische Kirche und die Siebenten-Tags-Adventisten

So werden bei den Neuapostolen in sogenannten Entschlafenendiensten 3x im Jahr auch Totentaufen vollzogen. Neuapostolen betonen die Notwendigkeit des Apostel Amtes und den Heilsanspruch. All das ähnelt der HLT Kirche. Darum will ich den begonnen Reformationsprozess hier in einem sehr kurzen Abriss etwas genauer betrachten: Die Reform begann nicht, weil der „Stammapostel“ plötzlich eine göttliche Offenbarung erlebte. Die Reform begann in den Reihen der Mitglieder – vor allem der jüngeren, die anfingen, Dinge in Frage zu stellen und durch ehemalige Mitglieder, die offen über ihre Erfahrungen sprachen. Ein wesentlicher Punkt war, dass ein Stammapostel, der oberste Führer, Apostel Bischoff, 1951 prophezeite, das zweite Kommen würde noch während seines Lebens stattfinden. Er starb und Jesus war nicht gekommen. Dennoch hielt die Führung zunächst daran fest, der Bischoff habe sich nicht geirrt, sondern Gott habe halt seine Pläne geändert. Diese Haltung führte zu einem tiefen Riss innerhalb der Gemeinschaft, welcher nie aufgearbeitet wurde und zu einer Spaltung.

„Das ist nicht mehr meine Kirche.“

Der Riss im Selbstverständnis der Neuapostolen passierte 2007, als ein kirchenweiter Informationsabend in einem Fiasko endete: statt einer Aufarbeitung folgten Anschuldigungen der Mitglieder und ein weiteres Festhalten an der Unfehlbarkeit der Apostel. Nicht nur Kritiker waren entsetzt. Auch kirchentreue Mitglieder verließen vorzeitig und empört diese Übertragung. In der Folge dieses Abends bekundeten auch prominente Mitglieder: „Ich schäme mich für diese Aussagen, das ist nicht mehr meine Kirche.“ Dieser Abend, und auch der Wunsch nach Ökumene, war die Triebfeder für längst fällige Reformen. Die – teilweise sogar drastischen – Änderungen in der Kirchenführung, der Kirchenlehre und dem Amtsverständnis und führten 2012 zu einem neuen Katechismus. Bezeichnend dürfte hier das Abrücken vom Absolutheitsanspruchs und der Heilsexklusivität sein. Eine Lehre, die zwar noch nicht gänzlich aufgegeben wurde, aber deutliche Abstriche bekam. Schon früh in diesem Prozess hat man beispielsweise andere christliche Taufen anerkannt, wenn sie ‚rite‘, also im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, vollzogen wurden. Bei den Neuapostolen findet heute eine Aufarbeitung von Indoktrination, sozialer Kontrolle und dem Konformitätsdruck der damit einhergehenden psychischen Gewalt statt – auch in Bezug auf geistlichen und seelsorgerlichen Missbrauch. So gab es sogar ein „Schuldbekenntnis“ seitens der Organisation.

Der Wandel passiert an der Basis

Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen und stellt die neuapostolische Kirche natürlich auch vor eine Zerreißprobe: Dem einen gehen die Reformen zu weit und zu schnell, anderen nicht weit und schnell genug. Kritiker sprechen von einer Scheinreform und andere orthodoxe Mitglieder fühlen sich verraten. Das ist ein gewaltiger Aufarbeitungsprozess auf allen Ebenen und verlangt viele Kompromisse. Wo dieser Weg enden und wie er sich entwickeln wird, kann niemand voraussagen, aber er zeigt, dass Wandel von innen möglich ist. Aber eben auch, dass der Wandel nicht von oben kommen wird, sondern an der Basis passiert, bis die „da oben“ diesen nicht mehr ignorieren können.

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Guido Müller
Guido Müller
2 Jahre her

Man darf in „meinungsrepressiven Umgebungen“ nie unterschätzen, was es bewirkt, wenn doch ein paar wenige, oder nur eine Person das Mündlein aufmacht. Natürlich hilft’s noch mehr, wenn auch berechtigte Kritikpunkte und Wünsche geäußert werden. In der HLT Kirche gibt es international gesehen immer mehr dieser sensiblen Kritiker, einmal genannt sei Dr. Julie Hanks aus Utah, die, wenn sie so weiter macht, bald mehr „Follower“ hat als die Brethren selbst – und das einfach, weil das, was sie sagt, Sinn macht und heilsam ist, und nicht weil Millionen Mitglieder von Kind auf indoktriniert worden sind, ihr biggest Fan zu sein.
Ihre Kulturkritik trifft vor allem den Nerv gemäßigter HLT-Frauen, denen es tief drinnen dämmert, dass die Brethren kirchenkulturell irgendwo ein paar Abzweigungen verpasst haben.

H. Schn.
H. Schn.
2 Jahre her

Eine Freundin aus dem Studium war liberale Neuapostolin, und wir hatten viele Gespräche über unseren Glauben geführt und Zweifel geäußert. Es hat mir damals sehr geholfen mit jemandem zu sprechen und zu erkennen, dass eine Kirche sich auch ändern kann, wenn klar ist, dass sie falsch lag! Es half mir eine ganze Weile damit leben zu können, dass die Mormonen einfach die Kirche sind, in der ich sozialisiert bin, die aber fehlerhaft ist und auch nur von normalen Menschen geführt wird – also ade Alleinigkeitsanspruch für meine letzten zwei Mitgliederjahre. Ich fand das total super und beneidenswert, wie die so selbstkritisch waren. Ich bin leider nie mit ihr mitgegangen. Mir ist aufgefallen, es fehlt der Raum für Zweifel bei den Mormonen – sie hatte den! Glaube ist ungefährlich, wenn freier Raum für Zweifel ist. Ein IS-Anhängern mangelt es nicht an Überzeugung bzw. Glaube (vorgeben etwas zu wissen für das es 0 Evidenz gibt oder gar davon fasziniert zu sein), sondern an gesundem Zweifel bzw. dem Raum, diesen frei zu äußern!

anonym
anonym
2 Jahre her

Vor sehr vielen Jahren habe ich einen neuapostolischen Gottesdienst mit ein paar Freunden aus meiner Klasse besucht, weil eine Klassenkammeradin, die neuapostolisch war, uns eingeladen hat. Meine Freuden waren katholisch und mein bester Freund war Baptist. Damals begann meine „Fragestunde“. Die Neuapostolischen hatten an dem Sonntag eine Abendmahsfeier für Verstorbene gehalten, inklusive stellvertretender Abendmahlnahme. Fand ich damals etwas irritierend, denn ich dachte bis dato, dass stellvertretende Handlungen für Verstorbene unsere Domäne sei. Mit ein Puzzelsteil meiner Reise.

Guido Müller
Guido Müller
2 Jahre her

Vor kurzem habe ich allerdings auch gelesen, dass der ökumene-orientierte Wandel der NAK mehr marketingorientiert war und sich nicht so unheimlich viel nach innen geändert haben soll… Keine Ahnung, kann’s nicht beurteilen.

H. Schn.
H. Schn.
2 Jahre her
Reply to  Guido Müller

Guido Müller: die NAK ist im Wandel und da wird nicht über Nacht alles komplett neu. Es soll da ein großes Spektrum geben (Hörensagen), aber wenigstens gibt es dort ein Spektrum. Bei den Mormonen gibt es das zwar auch, aber Exoten halten besser den Mund.

Anonymus
Anonymus
2 Jahre her

Liebe Gwen
Für die HLT wäre die dringend notwendige Aufgabe des Exklusivanspruches ein wahres Dilemma, denn es handelt sich beim Exklusivanspruches um den absoluten Kerngehalt der HLT-Kirche.  Ein Abwenden vom Exklusivanspruches würde die ganze Dogmatik der HLT in ihren Grundfesten erschüttern. Da kommen sie nicht mehr raus.