Wie ich heute über meine Kirchenerfahrung denke und fühle

Erfahrungsbericht von Sam (Name geändert)

Bildquelle: Guido Müller

Ich habe gerade meine Beitragshistorie angeschaut, habe mir meinen ersten Beitrag (nach meiner Vorstellung zu meiner Person) durchgelesen und hab‘ mal drüber nachgedacht was sich bei mir seitdem in meinem Glauben, meinen Ansichten usw. geändert hat.

Vorab! Alles was jetzt folgt ist/sind nur meine Meinung, Gefühle, Gedanken, Eindrücke usw. Wenn jemand andere Ansichten hat, ist das kein Problem.

Sollte sich jemand angegriffen fühlen, so ist dies keine Absicht, denn bedenke: Ich kenne dich höchstwahrscheinlich nicht und du mich auch nicht, also locker bleiben tief durchatmen und sich über was ärgern, was wichtiger ist als der folgende Text.

Hier einige Beispiele über Dinge, über die man sich ärgern kann, weil sie wichtiger sind als mein Post: (sei kreativ und füge hier selbst was ein, die Auswahlmöglichkeiten sind mannigfaltig!)

Im Wesentlichen kann ich es in einer Frage mit einer dazugehörigen Antwort zusammenfassen: Glaube ich, dass die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage die wiederhergestellte und einzig wahre Kirche Gottes auf Erden ist? Antwort: Nein! Ich kann es einfach nicht mehr glauben.

Ich will damit wirklich niemanden angreifen, andernfalls würde ich hier Namen verlinken.

Eher möchte ich versuchen zu beschreiben, wie sich das für mich anfühlt. Das ist gar nicht so einfach, es ist eine Mischung aus enormer Wut, Trauer, Frustration, Enttäuschung, gepaart mit Fassungslosigkeit –  aber auch das muss ich erwähnen: Erleichterung und Hoffnung!

Ich zerlege das jetzt mal in die einzelnen aufgeführten Begriffe, denn anders bekomme ich es nicht vermittelt.

Enorme Wut

Als mir durch meine Recherchen immer bewusster wurde, dass das, was die HLT-Kirche über ihre eigene Geschichte lehrt und wie es tatsächlich abgelaufen ist falsch ist, war ich schon mal bedient. Jahrelang habe ich Dinge als Tatsache und Fakt akzeptiert obwohl es schlichtweg gelogen ist. Ich begann zu begreifen wie politisch und kapitalistisch die Kirche heute ist (das war die Ursache, weswegen ich anfing genauer hinzuschauen, denn vor ca. 3-4 Jahren fragte ich mich ob das ,,noch“ die Wiederhergestellte Kirche Gottes ist wie sie vor 200 Jahren wiederhergestellt sein sollte.) Schaue ich mir die echte Geschichte an, wundert es mich eigentlich nicht mehr. Was mich aber infolge dessen so wütend macht ist, dass ich, weil ich lange glaubte, dass es wahr ist, mir viele Ungerechtigkeiten, Vorurteile mir gegenüber, abwertende Aussagen über andere Religionen, Gesellschaften u.v.m. viel zu oft widerstandslos gefallen ließ. Dabei wäre es oftmals sogar richtig und gesund für mich gewesen sich zu wehren! Wie oft hab‘ ich mich manipulieren lassen….da könnt‘ ich aus der Haut fahren und mich selbst ohrfeigen! Das ist ganz klar. Nun ja, besser spät als nie. Jetzt steh‘ ich deutlicher für mich selber ein und höre auf meine Gefühle und achte auf meine geistige Gesundheit.

Trauer

Jetzt wird’s ein bisschen Schezo!^^: Ein kleiner Teil von mir ist einfach nur traurig, dass ich durch meine “verdammte“ Neugier und großen Wissensdurst mein Glaubens- und Weltbild verloren habe. Denn die ,,Tatsache“, dass es trotz allem die einzig wahre Kirche Gottes gibt und einer wie ich Teil von ihr ist, hat mir natürlich sehr viel Halt gegeben, in dem Sinne, dass es ja alles irgendwie am Ende Sinn ergeben wird. Gleichzeitig bin ich aber auch traurig darüber, dass mir, wenn ich es früher schon gewusst hätte, viel seelisches Leid erspart geblieben wäre (, welches nur zum wesentlich kleineren Teil von der ,,bösen“ Welt verursacht wurde) . So viele innere Konflikte, weil mein Gewissen mit dogmatischen Lehren und Praktiken in Konflikt kam (Missionszeit, Tempel so als Beispiel).

Frustration

Ich bin frustriert darüber, dass ich mein Leben die letzten 10-12 Jahre auf einem Fundament aufgebaut habe, dass konfrontiert mit der Wahrheit gar nicht halten konnte. Mein Glaube an Gott ist zwar noch da (unbeirrt würd‘ ich nicht sagen), aber weil das Thema wahre Kirche für mich wegfällt stehe ich nun da und schaue dumm aus der Wäsche! Zwar würde ich nicht sagen, dass die ganze Zeit umsonst war, nein das nicht, denn nichts desto trotz ist mir auch viel Gutes widerfahren und habe gerade hier in dem Bundesland wo ich jetzt seit über 8 Jahren lebe viele wundervolle Menschen kennengelernt und auch eine andere Art von Kirchenleben (bei weitem nicht so toxisch und übergriffig, wie im meinem Heimatpfahl bzw. meiner Heimatgemeinde, wenn weil nur menschlich auch nicht ganz frei davon)

Enttäuschung

Vieles, was ich in diesem Punkt reinschreibe, hätte ursprünglich in den Punkt enorme Wut reingepasst. Da aber das Meiste sich mittlerweile in Enttäuschung gewandelt hat kommt es nun hier rein. Ich finde das Wort Enttäuschung ziemlich interessant, da das Wort irgendwie so klingt als könnte es auch bedeuten, dass das Getäuschtsein endet.

Ich bin enttäuscht, dass es die einzig wahre Kirche doch nicht gibt. Es ist schwer für mich zu verkraften, dass ich so viel Zeit, Energie und Geld, sehr viel von mir in einen Glauben und eine Organisation hineingesteckt habe und nun erkannt hab, dass es nicht stimmt. All die ,,Erkenntnisse“ die ich aus den neuen ,,heiligen Schriften“ zog, die mein Zeugnis von der ,,Wahrheit“ über Joseph Smith und seine Rolle als Prophet der Wiederherstellung stärkten und festigten, sind nun alle hinfällig. Ich habe wirklich daran geglaubt, dass Gottes Plan für uns durch den großen Abfall vom Glauben verloren gegangen ist, dass Gott die verlorengegangenen Wahrheiten und Vollmachten durch Joseph Smith wiederhergestellt und durch dessen Nachfolger bewahrt wurden bzw. werden.

Jetzt stehe ich da und denke: ,,Kacke, was von meinem Glauben an ,,meinen“ himmlischen Vater und Jesus Christus und dem Hlt ist denn jetzt noch richtig bzw. übrig?“ Gut ich war nie jemand der die Welt in schwarz und weiß unterteilt hat und dogmatische Lehren in der HLT-Kirche (z.B. über Homosexualität u.a., andere Religionen, unsere ,,Aufgaben“) nie wirklich an mich rangelassen, aber zu sagen, dass sie mich in keinster Weise beeinflußt haben das wäre schlichtweg gelogen.

Außerdem fand ich es schon als Kind und Jugendlicher verdammt merkwürdig, dass es 99% der Menschheit wohl so leichtfällt, die Botschaft über die Wiederherstellung des Evangeliums, den Erlösungsplan usw. zu verwerfen.

Das auf die Schlechtigkeit der Menschen abzuwälzen erscheint mir einfach…zu einfach.

Wenn ich ein himmlischer Vater wäre, so ein ganz ausgebuffter und ehrlich dran interessiert, dass meine Kinder die Wahrheit über den Sinn ihrer Existenz, über mich usw. erfahren und annehmen können, würde ich das nicht einer Person/Religion/Institution überlassen, die über ihre eigene Geschichte lügen muss um vertrauensvoll zu wirken. Außerdem würde ich meinen dienenden Engel mit flammendem Schwert eher mal zu Menschen/Personen schicken, die so ihre Position als sagen wir mal Diktator, Despot oder Oligarch uvvvvm. nutzen, um andere zu unterdrücken, zu foltern, zu töten usw. anstatt zu meinem Propheten, weil er ,,zögert“ ein minderjähriges Mädchen zu ehelichen! Naja ich wage zu behaupten, dass ich sowas gar nicht erst gebieten würde.

Ich wusste, dass JS Jahre vor seiner ,,Berufung“ zum Propheten ,,interessant“ waren und mir waren auch viele Ungereimtheiten während seines ,,Wirkens“ bekannt, aber erst die letzten Jahres erfolgte Geburt meines Sohnes hat mir den Mut und die Kraft gegeben, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage nicht nur im Stillen zu hinterfragen sondern auch laut und offen!

Ich bin von mir selbst enttäuscht, dass ich meiner Intuition nicht viel früher gefolgt bin. Ich hab‘ das oft als Einflüsterungen des Widersachers abgetan. Dabei war ich das selber, der einfach genauer hinschauen wollte aber zu feige war es zu tun.

Und ich bin enttäuscht darüber, dass mein Glaubens- und Weltbild jetzt ein Scherbenhaufen ist, den ich jetzt zusammenkehren darf und schauen kann, was passt und was nicht. Stand der Dinge diesbezüglich zurzeit: Alles sehr diffus und unklar. Ich glaube an Gott, aber einfach anders, schwer zu beschreiben.

An die Messiasbotschaft über Jesus Christus, versuche ich noch zu glauben, aber ich würde auch hier lügen, wenn ich behaupte, dass mein Glaube daran keinen Knacks bekommen hat.

Alles in allem: Alles echt (ent)täuschend!

Fassungslosigkeit

Ich bin fassungslos darüber, wie leicht es mir all die Jahre fiel, meinen berechtigten Zweifel zu unterdrücken und mir als schwachen Glauben einreden zu lassen (in Ansprachen, Übertragungen usw.) und weiter zu machen.

Wie oft habe ich mir von ,,wohlwollenden“ Priestertumsführern, Mitgliedern usw. einreden lassen, dass Gott mich nur dann segnet, wenn ich genau das tue was DIE denken, wie ich mein Leben zu gestalten habe. Stichwort u.a. Mission: gut. Ich habe meine Frau auf Mission kennengelernt und habe mit ihr einen wundervollen Sohn, einen kleinen Sonnenschein. Ganz großer Pluspunkt für meinen Missionsdienst…

Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass ich ohne die ,,besten 2 Jahre“ meines Lebens, sie nicht kennengelernt hätte oder sonst wie glücklich geworden wäre. Denn ich muss leider auch auf die negativen Auswirkungen meiner Missionszeit schauen: verstärkte depressive Phasen/Zustände, Sehr regelmäßige Albträume über meine Mission, im Zuge dessen Schlafstörungen (wobei das möglicherweise auch mit dem Schlaf und Erholungsmangel auf Mission zu tun haben könnte. 5Std. (meistens eher 3-4) Schlaf pro Nacht waren während dieser Zeit das höchste der Gefühle, schnarchenden Mitarbeitern, Grübelzwang, Magenkrämpfe durch psyschische Belastung/Erschöpfung sei Dank) und einen Reizdarm, der bis heute seines gleichen sucht. Meine Ernährung habe ich übrigens schon umgestellt, spart euch die Tips! Alles schon gehört. Habe ich mit meinen von ,,Gott eingesetzten“ Führern über meine Probleme gesprochen, kam nur Gehorsamsdruck zurück und dass ich gefälligst dankbarer zu sein habe. Also Mensch und Holla die Waldfee, meine betriebliche Handwerksausbildung gestaltet von ,,weltlichen“ Ausbildern und Führungskräften war streng aber die waren wesentlich empathischer und zugänglicher bei Problemen der Lehrlinge. UND haben geholfen.

Ich bin fassungslos, dass ich mir das die 2 Jahre auf Mission, davor und danach so oft hab gefallen lassen. Jetzt kenne ich auch den Begriff seit 2-3 Jahren dafür: Gaslighting. Was mich tröstet: Ich war einfach Jung und unerfahren. Und ich wollte es halt richtig machen. Was immer das geheißen hat, damals.

Zusammengefasst: Ich bin fassungslos darüber, wie einfach ich zu beeinflussen, manipulieren, zu lenken war, wie ich krampfhaft meine Mission durchziehen wollte und eine toxische (Heimat)gemeinde als heilsam empfunden hab.

So dieser Teil ist sehr negativ, teils aggresiv und vielleicht provokativ. Aber das ist meine Gefühlslage und ich werde das sicherlich schaffen hinter mir zu lassen und dadurch dann mit mehr Abstand vielleicht etwas gemäßigter darüber zu denken, zu schreiben und zu reden. Aber bis es soweit ist kann man mich ruhig verurteilen, weil ich wütend und enttäuscht bin. Aber wer seinen Kopf aus einer bestimmten Region seines Körpers mal herauszieht, wird erkennen, dass Gefühle wie Wut und Enttäuschung zuzulassen, ein notwendiger Teil eines Heilungsprozesses ist.

Jetzt wird es leicht positiver/optimistischer

Erleichterung

Trotz all den aufwühlenden Emotionen, die zwangsläufig dazugehören in so einer ,,Krise“, habe ich sehr schnell auch ein starkes Gefühl der Erleichterung gefühlt. Und das fand/finde ich sehr interessant und natürlich tut es mir gut.

Das erste Mal seit über 10 Jahren fühle ich mich nicht eingekesselt. Ich bin das erste Mal seit über 10 Jahren mit mir selbst zufriedener. Das erste Mal seit über 10 Jahren fühle ich mich so, als kann ich mein Leben so gestalten, wie es MICH glücklich macht und erfüllt und die Angst, für den Vater im Himmel nicht gut genug zu sein, weil ich mich nicht in eine Form pressen lasse/lassen kann schwindet Stück für Stück (und glaubt mir, das habe ich über 10 Jahre versucht!!). Sollte es an dieser Stelle so klingen, dass ich anderen die Schuld gebe, dass ich es in meiner aktiven Zeit es so schwer hatte, dann möchte ich klarstellen, dass der gesellschaftliche Druck in den Gemeinden (sprich meinem Umfeld) sicherlich nicht hilfreich war ABER es war meine Entscheidung, wider besseren Wissens trotz Ungereimtheiten/Widersprüche/Lügen über die Kirchengeschichte weiter daran zu glauben.

Es war meine Entscheidung den ,,wohlwollenden“ Ratschlag meines Missionspräsidenten anzunehmen und wider meine Gefühle, Intuition und eignender Wünsche auf Mission zu bleiben.

Es war meine Entscheidung Jahre nach meiner Reaktivierung die rausgefundenen und dann später offen zugegebenen Lügen meiner eigenen Mutter bzg. gewisser Ereignisse in meiner frühen Kindheit beiseite zu schieben und weiterzumachen. (Sie verdrehte gewisse Begebenheiten, Situationen, Begebenheiten usw., die mir jahrelang nicht beantwortet worden sind und mich somit ursprünglich von der Kirche wegtrieben. Sie ,,beantwortete“ sie dann schließlich in wie erwähnt verdrehter Form, in der Hoffnung mich so zur Rückkehr ,,in die Herde“ zu bewegen! Lügen für den Herrn…Was vor fast 13 Jahren auch klappte…). Vor ca. 3 Monaten habe ich den Kontakt zu meinen Eltern gegen 0 gefahren, nicht wegen dieser Angelegenheit hier, das kann ich versichern (der Grund für den Kontaktabbruch lässt die geschilderte Begebenheit hier wirklich winzig und unbedeutend erscheinen das kann ich sagen. Mehr aber nicht, denn das gehört nicht hier rein.)

Langes Statement kurze Zusammenfassung: Es waren meine Entscheidungen in der Kirche weiterzumachen, obwohl ich mich nicht wohl damit fühlte. Wobei ich noch ergänzen muss, dass ich nie ein Problem damit hatte an Gott zu glauben (bis jetzt), nur immer mehr an die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage.

Aber zurück zur Erleichterung. Ich bin erleichtert, dass nachdem ich offen mit meiner Frau gesprochen habe (liegt ’ne Weile zurück) über meine ernsten Zweifel/Bedenken bezüglich der Kirche, sie mit Verständnis reagiert hat. Aber Tränen sind auf beiden Seiten geflossen, leicht war es nicht. Ich weiß, dass es durchaus in Zukunft noch Reibungspunkte u. Konflikte geben wird, aber die gibt es in einer Ehe und in der Kindererziehung m.M.n so oder so. Unsere Ehe zumindest besteht aus so viel mehr als ,,nur“ der gemeinsame Glaube/ die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Religion. Das erleichtert mich ebenso! Zugegeben, mit aktiven Mitgliedern rede ich über meine Probleme mit der HLT-Kirche eher weniger, weil ich immer dieselben Ratschläge bekomme.

Mehr in den Schriften lesen, mehr zu Gott beten, die Versammlungen in der Kirche besuchen. Kurz LBK= Lesen, Beten, Kirche. Ach ja, was glaubt ihr haben die meisten, die für sich zu der Erkenntnis kommen, dass die Hlt-Art zu glauben und zu leben nicht mehr tragbar ist (zumindest nicht mehr in dem Umfang) vorher gemacht? Oft sogar verstärkt reingekniet. Jahrelang, Jahrzehntelang um eine Bestätigung zu erhalten, dass die Kirche wahr ist und es somit richtig ist aktiv zu bleiben?

Für denjenigen mit der Schwäche zu verdammen und zu verurteilen ist vieles NICHT christlich. Ich rate den aktiven, treuen Mitgliedern dann immer dankbar dafür zu sein, dass sie weiterhin glauben können. Was ihr gutes Recht ist. Und wie ich es schon öfter mal erwähnt hab.

Es gibt sehr viele gute und wundervolle herzensgute Menschen in der Hlt-Kirche, die ich sehr schätze und wo ich froh bin, dass ich sie kennenlernen durfte. Aber es gibt sie nicht ausschließlich dort! Da ,,draußen“ gibt es sie ebenso und in meinen Augen sind sie NIE weniger wert gewesen, weil sie nicht zur ,,wahren“ Kirche gehören. Ist jemand ein guter Mensch ist es m.M.n. bestenfalls zweitrangig, eher dritt- oder viertrangig, vielleicht auch gerade so in den Top 10 welche Religion oder Glaubens/Weltansicht er oder sie vertritt/zugehört.

Schubladendenken kann helfen Dinge einzuordnen, aber oftmals ist’s einfach nur bäh. Die ganze Gehirnakrobatik nicht mehr machen zu müssen, den eigenen Glauben nicht mehr auf Ach und Krach sich zurechtbiegen zu müssen um das aktive Leben in der Kirche für sich selber zurechtfertigen, darüber bin ich ebenfalls sehr erleichtert.

Hoffnung

Meine Hoffnung ist, dass ich, wie es andere in den Kommentaren klargemacht haben, noch recht jung bin (Danke, das höre ich gern 😀 ), ich in der Zukunft einfach etwas entspannter mit mir selbst, meiner Beziehung zu Gott (wie immer sich mein Glaubensbild entwickeln mag), meinen Wünschen, meinen Zielen usw. durchs Leben gehe.

Meine Hoffnung ist, dass ich mit den nötigen Hilfsmitteln und Werkzeugen ganz natürlich Vergangenes verarbeiten, ,,zu den Akten“ legen kann und es als Teil meiner Lebensentscheidungen zum jeweiligen Zeitpunkt akzeptieren kann. Dass es mich geprägt hat (manches im aktiven Hlt-Leben ist auch positiv, klar. Wenn’s nur schlecht gewesen wäre, hätt‘ ich bei weitem nicht so lang durchgehalten).

Meine Hoffnung ist, dass meine Frau und mein Kind, meinen inneren Frieden, Zufriedenheit und dadurch positiven/optimistischeren Lebenswandel sehen/wahrnehmen und erkennen, dass ein guter Mensch zu sein (in meinem Fall dann guter Mensch, Ehemann und Papa) viel, viel, vieeeeel bedeutsamer ist, als die in meinem Fall fast schon krampfhafte Zugehörigkeit zu einer religiösen Institution….

So. Das waren die Punkte die ich erläutern wollte. Das alles zu schreiben hat schon sehr gut getan das muss ich sagen. Ich danke jeden Einzelnen für die Kommentare. Die waren alle wohltuend, ernsthaft! 🙂

Aber es gibt noch einen Extrapunkt den ich erläutern möchte.

Entschlossenheit

Ich bin entschlossen, das Gute was mich das Evangelium Jesu Christi lehrt (und nur dieses) zu behalten und im Herzen zu tragen.

Ich bin entschlossen die toxische Kirchenkultur (die es nunmal unleugbar gibt, ich habe sie wie vieeele andere vor mir, mit mir und nach mir erlebt), nicht mehr in mein Leben zuzulassen. Soll heißen momentan bin ich inaktiv. Aber es ist keine Frage des ob, sondern wann ich meinen Austritt einreiche. Das hat auch damit zu tun, dass ich nicht als Karteileiche enden will. Und andere Mitglieder aus Pflichtgefühl und/oder ernstem Interesse mich versuchen zu ,,reaktivieren“. Da können die ihre Zeit sinnvoller und aufbauender nutzen.

Ich bin entschlossen, meinem Sohn vor den toxischen Aspekten des Mormonentums zu schützen, was nicht bedeutet, dass ich verhindern werde, dass er mit der Kirche Kontakt hat, denn vor allem anhand meiner Frau und meinen Schwiegereltern sehe ich die positiven Einflüsse.

In meiner letzten offiziellen Priestertumshandlung kurz bevor ich inaktiv wurde, gab ich meinem Sohn die Kindersegnung, denn ICH BIN SEIN VATER (Astmatisches Geräusch eines Beatmungsgerätes das klingt als wäre es einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxie gebaut worden 😉 ). Ich gab ihm unter anderem mit, dass ich ihn segne, dass er die Fähigkeit entwickeln kann und die Möglichkeit für sich selbst nach der Wahrheit zu suchen.

War ich mir vorher nicht sicher ob ich aktiv bleibe, bewusst inaktiv werde oder früher oder später austrete, war ich es nach dieser Versammlung. Denn als nach dem Segen bekannt gemacht wurde, dass er jetzt bis zu seiner Taufe als Mitglied gezählt wird (war mir ehrlich nicht bewusst), bin ich raus, hab mich in mein Auto gesetzt und musste bitterlich und schmerzerfüllt weinen. Ich weiß, dass es an sich kein Drama ist, aber in meinem Kopf lief nur der Gedanke, dass ich jetzt schon mit dieser Handlung dazu beigetragen hatte, dass er in eine Form gepresst wird. Ich kriegte mich wieder ein und ging wieder in die Versammlung für die letzten 10 Minuten oder so. Aber für mich war entgültig klar: Ich kann aktzeptieren, dass die Kirche nicht wahr ist, ich kann nicht mehr dran glauben, dass sie wahr ist. Es ist vorbei.

Aber nochmals: Da meine Frau an die Kirche glauben will (was ich akzeptiere und nicht torpedieren werde!), weil sie erstens: eine gute Mutter und Ehefrau ist (Reihenfolge der Begriffe hat keine Bedeutung falls jemand versucht wird sich dran ,,aufzugeilen“) und zweitens: ich trotz allem auch die positiven Dinge sehen kann, werde ich nicht verhindern, dass er damit in Berührung kommt. Aber ich werde ihm nicht die gelogene Geschichte der Kirche lehren.

Ich bin entschlossen, daran zu arbeiten, dass meine Vergangenheit/Kindheit (nicht nur in der Kirche, aber das gehört hier nicht rein) mich nicht mehr runterzieht/hemmt, sondern ich mit mir selbst besser klarkomme, die Depressionen besiege und mein Leben nutze um glücklich zu werden. U.a. das sage ich ganz offen, habe ich vor einigen Monaten eine Therapie angefangen (die ,,Glaubenskrise spielt in der nur eine tief untergeordnete Rolle), nachdem ich endlich meinen Stolz beiseitegeschoben hab.

Ich bin entschlossen, weiterhin ein guter Mensch zu sein, der mit etwas Abstand auch die guten/schönen Dinge der HLT-Kirche wahrnimmt und zu schätzen weiß.

So. Nun komme ich jetzt aber zum endgültigen Abschluss dieses Beitrags.

Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, warum ich mich oft kritisch äußere (weil man sich in diesem Forum auch mal auskotzen kann, da man nicht nur LBK als Antwort bekommt). Und nach Jahrelangem runterschlucken, der Zweifel, er Zerissenheit und der zeitweiligen Verzweiflung, brauche ich auch mal eine Community in der ich ,, Dampf“ ablassen darf.

Aber ich hoffe, dass mit dem letzten Teil des Beitrags auch klar geworden ist, dass ich mich trotz allem auch an positiven Beiträgen aus den aktiven Leben der Mitgliedern der Kirche erfreuen kann (Roger’s Ansprache vor einigen Wochen z.B.)

Vielen Dank fürs Lesen.

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L. K.
L. K.
2 Jahre her

mich würde vor allem interessieren, was vom Weltbild erhalten geblieben ist – wie aus den Bruchstücken dein neues Weltbild zusammengebaut wurde oder ob du noch mitten im Prozess bist.

Sam
Sam
2 Jahre her
Reply to  L. K.

L. Kem. momentan bin ich noch mitten im Prozess, wenn mein Beitrag weitergeht schreibe ich in den Punkten Enttäuschung und Hoffnung ein wenig darübercomment image wie der Prozess abläuft.

N.
N.
2 Jahre her

Hey Sam, mir geht es ähnlich. Hat ja einen Grund wieso ich die Mission damals abgebrochen habe aber wir haben ja schon viel geschrieben. Letzter Stand von mir war dass ich wieder zur Kirche gegangen bin mit rosaroter Brille in der Hoffnung ich kann es mir schön/wahr reden. Leider ist das Projekt gescheitert und nun stehe ich da und weiß nicht so recht wo lang. Ohne Glaube an irgendwas ist das Leben leider leer.

Guido
Guido
2 Jahre her
Reply to  N.

N: kannst Du das mal näher beschreiben, dass Du an nichts mehr glaubst? Kann die Gefühlslage übrigens gut verstehen. Kann aber auch sagen: Wenn man sich mit Gleichgesinnten zusammentut, die ähnliches erlebt haben, wird es besser. Es gibt auch Menschen, die bei anderen Religionen ausgestiegen sind, gebe zu dass die Postmos im D sprachigen Raum etwas seltener sind, aber auch die gibts und es wäre an uns selbst, mal ein bisschen mitfühlende Community zu gestalten. Einzelgespräche sind auch sehr cool mit den richtigen Leuten. Ich möchte Dich auch ermutigen, mal Deine Erfahrung so offen und vulnerabel zu schildern, wie das doch deine wunderbare Art ist. Mit Real Name…da wirst Du auch schon meist Kontakte durch aufbauen können….bei mir so gewesen.

H. B.
H. B.
2 Jahre her
Reply to  N.

N: es ist bestimmt sehr individuell und ich maße mir nicht an dir zu sagen, dass du den neuen Sinn im Leben findest. Du solltest aber auch wissen, dass es bei den Meisten eine Zeit braucht, bis sich neue Perspektiven eröffnen. Der Punkt, an dem man merkt, man kann nicht wirklich weiter glauben, hatte wohl jeder, der ausgestiegen ist. Die meisten haben den Punkt des Abschließens aber noch hinausgezögert – völlig normal. Ich persönlich habe meine Perspektive komplett geändert und ich bin sehr viel glücklicher. Es braucht neue Nahrung und Perspektiven und bis sich das setzt braucht es Zeit.

Sam
Sam
2 Jahre her
Reply to  N.

N: Mensch das tut mir leid, denn als du damals hier auf OF geschrieben hast, dass du deinen inneren Frieden und Glauben gefunden hast, hab ich mich sehr für dich gefreut. Auch als wir dann noch über Messenger geschrieben haben. Aber ich schätze dich als intelligenten und auch herzensguten Menschen ein und solche Eigenschaften sind meiner Meinung nach viel mehr Wert, als die Zugehörigkeit zu einer Religion. Sollte jemand so eine Aussage beleidigend finden, kann ich nur raten ein aufbauendes und ausfüllendes Hobby zu suchen. Sry für die Bissigkeit. Zurück zum Thema. Es gibt so viel mehr im Leben als institutionelle Religion. Wem es gefällt und passt. In Ordnung, solange es diejenigen glücklich macht. Aber es gibt halt sehr viele denen es nicht gut tut. Sind die jetzt alle verdammt? Weniger Wert? Weniger geistig? Weniger geliebt? Wer so was wirklich glaubt oder versucht anderen einzureden, soll die Unterhaltung mal mit mir führen (hab mittlerweile Übung drin). Nico, ich wage zu behaupten, dass du deinen Weg im Leben gehen wirst, wie es dir gut tut und dich erfüllt!

Henning
Henning
2 Jahre her
Reply to  N.

Ich kenne den Prozess, den Glauben nicht mehr aufrechtzuerhalten. Heute sage ich, dass ich den Glauben an Gott überwunden habe, aber damals fühlte es sich an wie ein Verlust meiner ewigen Identität. Mir hat es geholfen, den Sinn im Leben im Jetzt und Hier zu betrachten. Es ist immer Jetzt! Wir leben nicht in der Vergangenheit, auch wenn wir uns erinnern, und leben nicht in der Zukunft, auch wenn wir für diese planen. Das heißt nicht, dass man nicht nach vorne guckt und plant bzw. Dummheiten vermeidet, aber das Bewusstsein für den Moment ist im Prinzip alles. Das mag sich abstrakt und ungreifbar anhören und wird sich nicht über Nacht emotional erschließen, aber man kann auch nicht ein Bild, eines fürsorglichen Vaters, einfach so ablegen. Ich konnte es zumindest nicht. Heute fühlt sich das sehr natürlich an, aber es war ein langer Prozess.

Franz
Franz
2 Jahre her

Wichtig ist nur, dass man sich von Gott geliebt fühlt und diese Liebe anderen zuteil werden lässt.

Jonas
Jonas
2 Jahre her

Ich kann jeden deiner Punkte so nachvollziehen… Ich wünsche dir wirklich alles Gute auf deinem weiteren Weg!

Sam
Sam
2 Jahre her
Reply to  Jonas

Jonas: Ich danke dircomment image, im übrigen waren es auch u.a. Deine Beiträge auf deinem Profil zum Thema Kirche und. LGBT und Erfahrungsberichte, die mich dazu gebracht haben genauer hin zu schauen! Ist schon ’ne Weile her.

Jonas
Jonas
2 Jahre her
Reply to  Sam

Sam: wow! Das freut mich, dass meine Beiträge dich auch nochmal zum Nachdenken angeregt hatten. Auch wenn ich weiß, dass dieser Weg nicht einfach ist. Doch im Endeffekt lohnt es sich so sehr, nicht mehr in einer Lüge zu leben.

Sam
Sam
2 Jahre her
Reply to  Jonas

Jonas: ich kannte dich ja kaum, nur als Missionar, die paar Begebenheiten wo wir uns sahen. Ich schätzte dich damals (heute natürlich auch) als aufrichtigen, guten Menschen ein. Und als ich dann von deinem Austritt erfuhr, fing ich mich an halt zu fragen wieso verlassen so viele gute Seelen die „wahre“ Kirche? Warum werden das immer mehr? Da kann doch was nicht stimmen. Diese Mythen, dass sie beleidigt worden sind, nicht in den Schriften gelesen haben das ganze bla bla bla halt, konnte ich nicht glauben, da ich persönlich einige mehr kannte und die waren keine faulen Säcke…

Jonas
Jonas
2 Jahre her
Reply to  Sam

Sam: Deine Einschätzung meines Charakters ehrt mich, danke! Ich hab dich auch so wahrgenommen auf Mission. Und ich find es mega traurig, dass die Kirche das Bild vermittelt, Leute würden sie nur verlassen, weil sie faul waren, sündigen wollten oder sich haben verblenden lassen.
Zu dem Zeitpunkt, wo ich mich tiefgehend mit der Kirchengeschichte befasste, war ich ein sehr aktives Mitglied, habe täglich in den Schriften gelesen, gebetet und mehr als 100% in meine Berufungen gegeben.
Ich denke die meisten Mitglieder sahen meinen Coming Out post auf Facebook und machten direkt im Kopf die Verbindung, dass ich die Kirche nur verlassen habe, weil ich Teil der LGBT community bin. Das stimmt allerdings nicht. Es waren all die historischen und doktrinären Faktoren, die mich zu meinem Austritt bewogen. Meine sexuelle Orientierung war dem untergeordnet. Der Austritt hat es mir bloß ermöglicht, mich endlich nicht mehr verdammen und verstecken zu müssen.
Ich glaube, wenn die zwei Faktoren eines integeren Charakters und eines deep-dives in die Kirchengeschichte zusammenkommen, führt es fast immer dazu, dass die betreffende Person die Kirche verlässt oder eine progressive, weniger dogmatische Haltung annimmt.

Anonymus
Anonymus
2 Jahre her

Deine Geschichte erschüttert mich zutiefst. Die HLT vermag Dich nicht zu unterstützen und fördern im Glauben an Gott. Sie hat vor allem ihre eigenen Interessen im Fokus. Für mich bist du ein Spartacus, ein Kettensprenger. Spartacus hat sich bekanntlich in der Antike von der Sklaverei befreit. Um bei den Erzählungen zu bleiben; Nicht selten treffen wir in den Werken Goethes Figuren, die eine verblendete Irrfahrt machen, so wie Du sie hinter Dir hast. Solange der Schleier der Verblendung über ihnen liegt, sind die (komplett) Verblendeten glücklich. Ihnen kann man nur staunend gegenüber stehen und rätseln, was noch alles passieren muss, damit ihnen endlich die Augen aufgehen. „Ein Zeugnis von der Kirche oder vom Buch Mormon haben“ ist typische Mormonensprache. Der Rest der Welt spricht von Verblendung oder Manipulation. Wie wenig Demut muss ein Mitglied haben, um zu glauben, das ausgerechnet sie/er zu den Auserwählten gehört, weil sie/er in diesem amerikanischen Geschäftsmodell mitwirkt? Viele HTL-Mitglieder sind jedoch gar nicht (komplett) verblendet, aber feige Mitläufer, zu feige um für Gott Partei zu ergreifen und in die Welt hinaus zu schreien, dass diese Kirche ein grosses Lügengebäude ist. Doch das Lügengebäude bröckelt. „Das Mormonentum ist eine sterbende Religion, deren Kirchengebäude werden nach und nach verkauft, Mitgliederzahlen sinken und die Kinder wandern ab.“ (Post vom 2.5.22 Wie sieht Religion in Zukunft aus?) Hören die Mitglieder davon in den Generalkonferenzen? Eine Analogie zur Desinformation der Regierenden im aktuellen Kriegskonflikt drängt sich auf. Und weiter: Das Denken und Wissen der Kinder ist oft schon viel zu… Weiterlesen »