Das Ende einer Freundschaft: Gefühle nach dem Kirchenaustritt

Von Guido Müller

Bildquelle: Guido Müller

Ich will mal einen Moment ein paar Gefühle der Trauer zulassen, indem ich meine Kirchenmitgliedschaft mit einer zerbrochenen Freundschaft vergleiche. Das habe ich mir lange verwehrt.

Es fühlt sich nun nach dem Ausstieg ein wenig so an, als ob man einem lange geliebten, engsten Freund endgültig den „Laufpass“ gegeben hat. Man dachte lange Zeit, dieser sei bedingungslos liebevoll, ehrlich, authentisch und fürsorglich. So stellte er sich halt über die Jahre selbst dar und diese Darstellung war ihm extrem wichtig. Hatte er gute Seiten? Ja, ganz sicher, er hatte viele tolle Qualitäten, leider wurden diese immer weniger sichtbar und verschwanden hinter dicken Quellwolken.

Eine Liebe ohne Zukunft

Ich musste mit den Jahren feststellen, dass dieser Freund in vielen Dingen nicht das ist, was er vorgab zu sein. Seine Liebe war an zahlreiche kaum nachvollziehbare Bedingungen geknüpft, er zeigte narzisstische Züge und legte eine zwanghafte Kontrolle an den Tag. Diese ging so weit, dass mir regelrecht die Luft abgeschnürt wurde und ich kaum noch atmen konnte.

War ich selbst immer perfekt in dieser freundschaftlichen Beziehung? Keineswegs, und trotz dieser Erkenntnis sehe ich keine Zukunft für diese Liebe.

Die Versuche, in einen offenen, vulnerablen Dialog einzutreten, scheiterten. Mein Freund insistierte immer wieder, dass er das alleinige Opfer sei und sich für nichts entschuldigen möchte. Wir konnten so nie wirklich auf Augenhöhe miteinander sprechen. Die Freundschaft wurde in so jungen Jahren und auch nicht ganz freiwillig und informiert geschlossen, damals gab es für mich gar keine Chance da eine kritische Betrachtung anzustellen.

Dummerweise war die Bindung für mich so lang und so tief, dass mein Freund ein Teil von mir wurde und somit werde ich ihm auch immer wieder über den Weg laufen…in meiner eigenen Seele wird er mir begegnen.

Mein Wunsch

Ich werde mir ab sofort niemals wieder verbieten, meine Gedanken und Gefühle auszudrücken, authentisch zu sein und mich echter Liebe für würdig zu erachten. Ich werde gesunde Grenzen ziehen und das Wort „Nein“ erlernen, etwas das ich bisher nie besonders gut konnte. (Mein Freund vermittelte den Eindruck, dass er etwas allergisch reagiert auf dieses Wort. Sehr oft nahm ich darauf Rücksicht.) Wenn ich eine neue Freundschaft eingehe, werde ich eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit einfordern und mich eingängig mit dem Menschen beschäftigen, BEVOR ich eine engere Bindung zulasse. Ich gönne jedem die Aufarbeitung und will gerne unterstützen, aber man muss es auch selbst wollen.

Leider hatte ich damals wie angedeutet eigentlich gar keine Wahl, denn meine Eltern und mein ganzes Umfeld haben zwingend empfohlen, dass ich diese Freundschaft inklusive Treueversprechen mit acht Jahren schließe. Hätte ich das nicht getan, wäre ich in meinem Umfeld und vor mir selbst gewissermaßen geächtet gewesen. Es gab leider nur eine „richtige“ Entscheidung, obwohl man mir sagte die Entscheidungsfreiheit sei eines der obersten Prinzipien dieses Freundes.

Es ist wirklich schade, auf welcher Grundlage diese Beziehung gebaut war. Wenn ich zurückblicke, denke ich mir, das musste eigentlich schon fast irgendwann zerbrechen, ohne dass ich selbst endgültig daran zerbreche.

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E. U.
E. U.
1 Jahr her

Denk an die gemeinsamen guten Zeiten mit deinem „Freund“ und das was dich alles wachsen ließ und zur Erkenntnis gebracht hat.

Ich weiß nicht ob es nur in deiner Gemeinde so ist, ob gleich alle Gemeinden ja ihre Probleme haben. Aber du kannst weiterhin auch Sonntag in eine Gemeinde deiner Wahl gehen und weiterhin das was du als erbauen und hilfreich empfindest heraus filtern und mitnehmen. Sicher sind Zeugnisversammlungen eine schöne Gelegenheit den Geist zu verspüren

Guido Müller
Guido Müller
1 Jahr her
Reply to  E. U.

mmmmh..glaub nicht…mir hilft das tatsächlich nicht…(mehr), mich gut oder geistig zu fühlen..würde länger dauern das zu erklären .

S. B.
S. B.
1 Jahr her
Reply to  E. U.

wenn ich in die Kirche gehe (sehr selten), komme ich aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus. Es ist weniger Arroganz, als Verwunderung und auch etwas Nostalgie. Mit meinem Abstand wirkt das heute auf mich, als ob die Leute sich während der Versammungen im Kreis drehen. Viel herausziehen kann ich da nicht mehr, außer vielleicht soziologische Schlüsse. Das Leben an sich bietet in unserer Hemisphäre eigentlich genug Möglichkeiten Erfahrungen zu machen. Aber klar, man kann immer hingehen, wenn man einen Drang verspürt.

E. U.
E. U.
1 Jahr her
Reply to  S. B.

könnte das nicht an den Mitgliedern und deren Einstellung liegen, was die Art der Wissensvermittlung betrifft? Ob man sich dann auch was herausfiltern will ist eine andere Frage

Es heißt ja auch, prüfe alles und das Gute behalte

S. B.
S. B.
1 Jahr her
Reply to  E. U.

Gegenfrage: Findest du nach all den Jahren noch Spannendes was dich weiter bringt? Denke schon dass ich die Grundessenz des Positiven mitgenommen habe. Denke aber nicht dass da noch mehr gekommen wäre. Ich sehe ja auch an den älteren Mitgliedern eher Durchhalten oder Gewöhnung, als persönliche Entwicklung. Aber das ist meine, vielleicht auch unfaire, Sicht der Dinge.

E. U.
E. U.
1 Jahr her
Reply to  S. B.

zum Teil stimme ich dir zu was das Durchhalten betrifft. Da stellt sich die Frage ob die Grundeinstellung da auch stimmt. Allerdings habe ich festgestellt das ich seit meiner Missionszeit auch einiges wieder vergessen habe und war dankbar wieder erinnert wurden zu sein.

Anonymus
Anonymus
1 Jahr her
Reply to  E. U.

Für mich ist OF die beste Zeugnisversammlung.

D. N.
D. N.
1 Jahr her

zum Teil stimme ich dir zu was das Durchhalten betrifft. Da stellt sich die Frage ob die Grundeinstellung da auch stimmt. Allerdings habe ich festgestellt das ich seit meiner Missionszeit auch einiges wieder vergessen habe und war dankbar wieder erinnert wurden zu sein.

H. S.
H. S.
1 Jahr her

Es ist schmerzhaft, sehr traurig und man ist enttäuscht. Manchmal denke ich, es wäre schön gewesen früher abgesprungen zu sein, aber auf der anderen Seite habe ich so auch eine andere Sichtweise bekommen, die ich sonst vielleicht nie bekommen hätte. Auch wenn ich teilweise sehr andere Positionen als früher habe, ist mir vieles heute bewusst.

Ich erinnere mich immer an Rana Ahmad (aus Saudi-Arabien – „Frauen dürfen hier nicht träumen“), wie sie zu uns mit Tränen sagte wie dankbar sie jeden Tag ist am Spiegel vorbei zu gehen, wenn sie in Köln ihre Wohnung verlässt und sich bewusst ist, dass sie sich nicht dem Diktat der Burka unterwerfen muss und einfach sie selbst sein kann. Auch ihr tat ihr Abschied sehr schwer, denn sie wird ihre Familie nicht wiedersehen können – ihr Vater und Bruder versuchten sie bereits in SA umzubringen, weil sie ungläubig ist. Trotzdem ist sie dankbar. Ich denke bei uns ist es nicht so dramatisch, aber ich denke auch unser Bewusstsein ist geschärft – in beide Richtungen.

S. H.
S. H.
1 Jahr her

Lieber Guido,
nach meinem Kirchenaustritt vor einigen Jahren gingen eine Reihe von Emotionen durch mich:
Enttäuschung – darüber, dass die Kirche und die Führer, denen ich am meisten vertraut hatte, mich so abgrundtief belogen hatten.
Erleichterung – dass ein mehrjähriger Kampf, bleiben oder nicht, der mich stellenweise fast irre gemacht hatte, endlich zu Ende war.
Verärgerung – über mich selbst, dass ich so lange so gutgläubig war und so lange gebraucht habe um dem Betrug auf die Schliche zu kommen.
Orientierungslosigkeit – ich wusste nicht mehr, wem und was ich überhaupt noch glauben kann.
Wut – darüber, so schamlos und hinterhältig derart ausgenutzt worden zu sein.
Ernüchterung – dass keiner meiner angeblichen Freunde in der Kirche geblieben war.
Heute sehe ich meinen Auftritt aus den Mormonen als einen der wichtigsten Schritte zum Erlangen meiner persönlichen Freiheit. Es war extrem guter und hilfreicher Schritt. Bereut habe ich ihn keine einzige Minute. Er war der Anfang anderer wichtiger Schritte für mich.

Guido Müller
Guido Müller
1 Jahr her
Reply to  S. H.

Sehr nachvollziehbar. Schön zu hören, dass daraus anscheinend etwas schönes geworden ist.

M. S.
M. S.
1 Jahr her

Ich mag den Vergleich und finde ihn sehr passend. Ich empfinde vieles sehr ähnlich und mein Vertrauen ist sehr beschäftigt. Zudem ist ein Gemeinschaftsentzug keine Aktion, die ich mir von einem Freund erwarte. Das hat mich sehr in den Rückzug getrieben. Christus grenzt nicht aus, sondern lädt ein zu ihm zu kommen. Auch von Freunden erwarte ich mir dass sie mich nicht ausgrenzen.

Übrigens ist auch meine Person stark geprägt von Mustern der Kirche und alle anderen Mitglieder tragen dasselbe „Schicksal“. Daher funktioniert für viele eine freundschaftliche Verbindung fast nur über diesen Teil ihrer Persönlichkeit und ohne diesem verbindenden Terrain ist am Ende keine mehr übrig. Solche Erfahrungen machen leider eine Menge ausgetretener Menschen. Das Problem ist, dass es fast ausschließlich ihre Identität bestimmt.

Guido Müller
Guido Müller
1 Jahr her
Reply to  M. S.

Danke!! Sehr mutig und vulnerabel zugleich, darauf einzugehen wie ich finde. Und so verrückt von diesem Gemeinschaftsentzug zu lesen weil Du jemand bist der viel für Andere da ist. Der für mich da ist und war – für diejenigen, die am Rande stehen und die verzweifelt sind.

Liebesentzug, Gemeinschaftsentzug, Freundschaftsentzug weil man irgendeine äußere Vorstellung und Vorgabe nicht erfüllt….das können manche durchaus ab, weil sie selbstbewusst und gefestigt genug sind, weil so woanders genug Liebe tanken können.
Andere können das weniger, weil sie dadurch, dass sie das im Elternhaus bereits erlebt haben, nun auch noch überzeugt werden, dass ihre kirchl. Geschwister und auch Gott genau so sind.
Das raubt manchen die letzte Selbstachtung, die letzte Selbstliebe.

U.
U.
1 Jahr her

Mir tut es gut am Rande mitzuerleben und ich fühle mit dir Guido, dass ihr auch so ähnlich, ja beinahe gleiche Erfahrungen und Empfindungen erlebt, wie ich diese empfunden habe und immer noch empfinde wie vor mehr als 20 Jahren, als ich von der Kirche ausgetreten bin.

Der Schritt auszutreten war nicht einfach, erforderte viel Mut und ja, die Freundschaft war so tief, dass diese mich heute noch begleitet, zum Teil auch unangenehm begleitet, in manchen Lebensabschnitten immer noch verunsichert handle ich jetzt richtig oder ist mein handeln unmoralisch, schlecht, oder gar falsch. Dieser Freund hat mich im Stich gelassen als ich seine Hilfe dringend brauchte und auch noch Stärke gezeigt, bei den Worten, ich habe ihn verlassen – was sicherlich im außen so war, im inneren definitiv aber nicht. Mein Herz hatte gekämpft und gerungen, meine Erfahrungen haben mich anderes gelehrt. Wir haben einen Verstand mit auf unserem Lebensweg bekommen, und diesen sollten wir auch in Glaubensfragen einsetzen und nicht einfach blind vertrauen.

Guido, dir und auch deiner Familie all das gute, welches dieses Leben zu bieten hat, wünsche ich euch sowie das Stemmen und Meistern der Herausforderungen.