„Was, wenn ich meine zwei besten Jahre verpasse? Und meine Pflicht ist es doch auch. Bin ich undankbar, wenn ich nicht gehe?“

Erfahrungsbericht von Sam (Name geändert)

Hallo ihr Lieben OF’ler. Zur Zeit ist General Konferenz und in der Mormon Stories Podcast Gruppe schreiben sich viele die Finger Wund um jeden Satz der gesagt wird unter die Lupe zu nehmen und auseinander zu nehmen. Das ist etwas was ich durchaus verstehe wieso, aber mir würde das nix bringen. Ich habe mich entschieden bewusst die Generalkonferenz zu ignorieren, da ich für mich merke, dass es mich frustriert und mich von dem ablenkt was für mich gerade Priorität hat. Nämlich das verlängerte Wochenende zu nutzen um viel Zeit mit meiner Frau und meinem Sohn zu verbringen.

Aber über eines möchte ich schreiben. Es ist etwas was mich schon lange beschäftigt bzw. Etwas was ich schon länger versuche zu verarbeiten.

Wer meine Kommentare/Beiträge zum Thema Mission liest erkennt sehr schnell wie sehr mich dieses Thema triggert.

Nun ich habe schon einmal einen Beitrag über meine Missionszeit verfasst, also möchte ich nicht wieder darüber schreiben. Es geht mir mehr um die Vorgeschichte und meine Erfahrungen mit der Erwartungshaltung des Kirchenumfeldes, dass „Mann“ geht. Vieles ist bekannt, viele Methoden die Jugend dahingehend zu konditionieren, dass sie sich „freiwillig“ bereit machen eine Mission zu dienen muss ich jetzt nicht erörtern. Ich bin mir sogar sicher, dass viele Mitglieder dieser Gruppe hier, mehr darüber wissen und persönliche Erfahrungen diesbezüglich gemacht haben.

Bei mir ist es so, dass ich ja mit 20 Jahren also vor 13 Jahren aus der Inaktivität zurück ins Kirchenleben kam. (Mensch! Ich hatte die Freiheit schon geschmeckt!)

Nicht mal einen Monat nachdem ich „ reaktiviert“ war begann der Druck zu steigen. Timo du bist in dem idealen Alter auf Mission zu gehen, wäre das nix für dich?…Waren so die frühesten Sätze an die ich mich erinnere. Ähm Nö, dass wäre nix für mich!

Timo schön, dass du das Institut so regelmäßig besuchst. Da du ja „noch“ nicht auf Mission warst, tragen wir dich für die Missionsvorbereitungsklasse ein! Hmm Nein danke, ich suche mir meine Klasse wie jeder andere hier selbst aus! (Das Instituts Ehepaar trug mich dennoch für die Klasse ein, ich ging aber trotzdem in die Klasse in die ich wollte. Bis ich mich tatsächlich auf Mission vorbereitete)

Solche Dinge konnte ich noch relativ leicht abwehren und/oder ignorieren.

Schwieriger für mich wurde es, als mein gesamtes Umfeld anfing zu bezeugen, dass sie durch den hl. Geist spüren, dass ich vom Herrn vorbereitet werde auf Mission zu gehen. Egal ob Bischof ÄK-Präsident, Mitglieder in Gemeinde und Pfahl, Instituts Ehepaar, Freunde und die eigene Mutter. (Mein Stiefvater konnte mit dem Konzept Hl. Geist und Offenbarung nie wirklich etwas anfangen…beneide ich ihn heute drum, hätte mir einiges an Ärger und Depressionen erspart). Also fast jeder bezeugte mir, dass Ihnen der Geist bezeugt hat, dass ich auf Mission gehen werde.

Ich bin mir sicher, dass das kein Kalkül seitens dieser Menschen war sondern, dass sie das wirklich so geglaubt haben zu fühlen.

Ich war und das kennen Neubekehrte und frisch reaktivierte Mitglieder selbst bestimmt auch, sehr enthusiastisch und voller Energie und Glück. Endlich schien ich meinen Platz im Leben gefunden zu haben und meine Beziehung zum himmlischen Vater wurde besser und glücklicher. Ich lächelte und lachte noch wie nie zuvor in meinem Leben. Ja ich strahlte jedes Mal, wenn ich Sonntags in die Kirche ging, selbst bei Pfahl und Generalkonferenzen, da ich immer viele Freunde wiedersah.

Ich war einfach hellauf begeistert vom „Evangelium“.

Da kann man möglicherweise den Eindruck auf andere erwecken, dass man auf etwas wie Mission vorbereitet wird.

Nun, wie ich sagte, bin ich mir sicher, dass diese Menschen wirklich glaubten, dass ihnen der Geist etwas über meine nahe Zukunft offenbarte. Und sie wurden ja nicht müde es ständig neu zu bezeugen.

Und einer wie ich, wie er damals war, jung, seinen Sinn und Platz etc. im Leben suchend, kann für sowas schon empfänglich sein.

Ich knickte jetzt nicht von heute auf morgen ein. Oftmals wiegelte ich solche „Zeugnisse“ ab. Aber ich merkte schon, dass es mich anfing zu beschäftigen und zu verunsichern.

Was, wenn der Herr das wirklich von mir will? Vielleicht bin ich einfach zu stur und deshalb bezeugen andere es mir? (Heute weiß ich für mich: Wenn es einen Gott gibt, dann sollte er die nötige Ausstattung in der Hose haben und mir selbst mitteilen, was er von mir erwartet und nicht jeden anderen in meinem Umfeld den Auftrag erteilen! Hat er ja bei anderen in den Schriften, ob sie jetzt wahr sind oder nicht auch oft selbst gemacht)

Aber ich möchte nicht auf Mission! Das ist etwas, was ich mir nicht antun will! Aber was wenn das wahr ist? Dass ich nicht so gesegnet und geliebt werde vom Vater im Himmel, weil ich meiner Pflicht nicht nachkomme!

Ich hasse es mit fremden Menschen zu reden. Und 24 Stunden, 7 Tage die Woche mit Mitarbeitern zu tun zu haben? Keinerlei Rückzugsort/Möglichkeit…für 2 VERDAMMTE Jahre? Keine eigene Identität?

Aber so viele zurück geehrte Missionare bezeugen dir, dass es sie so erfüllt hat und die beste Zeit ihres Lebens war. Was, wenn ich meine 2 Besten Jahre verpasse? Und meine Priestertumspflicht ist es doch auch. Bin ich undankbar, wenn ich nicht gehe? Schließlich durfte ich doch wieder zurückkehren in die Kirche! Wäre es nicht das mindeste zu gehen?

Wenn man derart bearbeitet wird und immer und Immer wieder gesagt bekommt, dass es der Wille des Herrn ist, denn sie fühlen, dass er mich vorbereitet, dann kann das einen Jungen Mann nur beeinflussen und lenken (gibt bestimmt und hoffentlich Ausnahmen).

Oh die Schriftstelle die über eine Missionsberufung spricht berührt mich. Hab das Gefühl der Herr redet gerade mit mir. Vielleicht muss ich irgendwann einsehen, dass ich keine Wahl habe.

Oh je Priestertumsklasse. Thema Mission Jedes Mitglied ein Missionar. Ich will aber nicht gehen! Warum sehen mich alle als Elder nur ich nicht? Sind meine Gefühle richtig? Lieg ich falsch?

Oh je. Deine Mutter redet schon wieder mit dir über das Thema Mission. Sie wusste es ja schon immer, dass ich gehen werde, schließlich wurde ihr das ja von einem Elder bei einem für sie bestimmten Krankensegen gesagt, als sie mit mir Schwanger war, dass ich eine Mission erfüllen werde. Jeder scheint zu wissen, dass es für mich das Beste ist zu gehen….nur ich nicht.

Es gibt noch viele weitere Beispiele, aber ich merke, dass es mir schwer fällt offen drüber weiter zu schreiben.

Deshalb grab ich da nicht weiter.

Aber ich hoffe, dass es klar wird, wie bedenklich es sein kann, wenn eine religiöse Gemeinschaft denkt, dass andere für einen Offenbarung erhalten können. Es kann natürlich gut gehen. Aber in meinem Fall…nicht. Natürlich war es letztendlich meine Entscheidung auf Mission zu gehen und ich verschrieb mich dem auch voll und ganz. Aber für mich war es mehr Schaden als Nutzen.

Sollte ich dafür ewige Segnungen erhalten, war der Preis dafür zu hoch und ist auf Kosten meines geistigen Wohlbefindens in diesem Leben gegangen.

Heute ist mir klar, dass absolut niemand das Recht hat persönliche Offenbarung für jemand anderen zu erhalten, vor allem nicht bei so einschneidenden Lebensentscheidungen. Das ist mMn mehr als fragwürdig, arrogant, übergriffig, gerade zu widerlich, wenn man mich fragt.

Auch denke ich, dass wir sehr viel mehr Freiheiten im Gestalten unseres Lebens haben, als die meisten Religionen uns das Lehren.

Nun in diesem Sinne. Lasst euch nichts einreden. Filtert ob es gut gemeinte Ratschläge oder Manipulation ist. (Ob bewusst oder unbewusst).

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V.C.
V.C.
1 Jahr her

Ich finde den Beitrag nicht, wo du über deine Mission geschrieben hast.
Würde mich interessieren.

Sam
Sam
1 Jahr her
Reply to  V.C.

https://openfaith.de/2021/09/29/es-war-eine-wichtige-zeit-fuer-mich-eine-lehrreiche-auf-jeden-fall-aber-es-war-nicht-meine-beste-zeit/
Ist auch schon ein Jahr her, dass ich darüber geschrieben habe. Hoffe der link funktioniert.

Sam
Sam
1 Jahr her

Unser Missionspräsident war eigentlich ein guter Mann! Wie jeder Mensch hatte er seine Stärken und Schwächen, aber der Druck kam lange Zeit nicht von ihm. Der kam von den Assistenten und Zonenleitern. Natürlich hat auch unser MP denen Druck gemacht und die gaben das dann an uns weiter, aber die verstärkten das noch. Hatte der MP die Vorgabe gegeben: Jede Woche 5 Lektionen, machten die Assis und die Zonks (passt, da die meisten von denen immer aufs Ganze gehen wollten) 15 Lektionen draus, so als Beispiel. Das war vielen von uns aber nicht klar. Und hätten wir mal den Mund aufgemacht und nachgehakt, wir hätten uns vieles ersparen können. Aber wir wollten ja gehorsam sein. Unser MP wurde erst mehr versessen auf Zahlen, als die Gebietspräsidentschaft wechselte. Zumindest spürte man bei den Interviews einen deutlichen Unterschied. Und man darf folgendes nicht außer acht lassen. Nicht jeder ist für so einen Missionsdienst geeignet. Jede Mission ist anders, das ist klar. Aber nehme ich jetzt mich und meine Hintergründe. Ich bin in armen Verhältnissen aufgewachsen und als ich älter wurde und mit 16 Jahren meine Ausbildung anfing, trat ich in die ,,Erwachsenen“ Welt ein. Ich musste zum Einkommen der Familie beitragen, finanzierte mir z.B. Führerschein und Auto selbst, musste dafür Samstags sogar nebenberuflich noch arbeiten gehen bei der Deutschen Post…egal. Ich lebte aber dadurch und durch andere Faktoren ein schon selbstständiges Leben. Und dann kommt die Mission, mit ihren ganzen Statuten und Regeln. Das ist nicht leicht für Menschen, die vorher schon… Weiterlesen »

S.B.
S.B.
1 Jahr her
Reply to  Sam

Das Problem ist, dass die Kirche eben wie eine Firma geführt wird. Dadurch entsteht beim Reporting ein Konkurrenz-Druck, den der eine sehr ernst nimmt, der andere weniger. Es wäre ein Leichtes dem Treiben der Gebiets-/Missionspräsidentschaft ein Ende zu bereiten und den Erfolg einer Mission nicht an Excel-Sheets und PowerPoints zu messen.