Das „verlorene“ Wissen über Frauen der Heiligen Schrift

Community-Beitrag von Chantal

Jesus und die Rolle der Frauen in der Bibel (Bildquelle: Canva.com)

Eine interessante Diskussion heute veranlasst mich, hier die Bresche für die verlorenen Frauen in der Heiligen Schrift zu schlagen. Zu meinem Hintergrund: Ich bin ehemalige HLT, die für sich ein neues geistiges Zuhause in der Gemeinschaft Christi (Community of Christ) gefunden hat.

Maria Magdalena, einst wichtigste Jüngerin Jesu, wurde als Propagandafigur der katholischen Kirche missbraucht. Junia, eine berühmte Apostelin der Frühkirche, verwandelte sich unter der Feder eines Bibelkommentators in einen Mann. Phöbe, Vorsteherin einer frühen Christengemeinde, wurde als Hilfskraft des Apostel Paulus kleininterpretiert. Lydia, die erste Christin Europas, geriet fast 2000 Jahre lang in Vergessenheit. Es gab verschiedene Methoden, Frauen des frühen Christentums verschwinden zu lassen.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Jesu Predigt

Vor 2000 Jahren kündigte Jesus von Nazareth das Reich Gottes an, in dem alle Menschen gleich wären. In einer streng patriarchal geprägten Zeit war das revolutionär. Und so folgten dem charismatischen Wander-Prediger nicht nur Männer, sondern vielfach auch Frauen nach.

Aufgrund einer männerzentrierten Sprache blieben sie in den Evangelien jedoch nahezu unerwähnt. Aber Frauen waren Zeuginnen des Todes Jesu, der Grablegung und schließlich seiner Auferstehung, die zum Grundstein des Christentums wird. Es ist Maria aus Magdala, die von Jesus den Auftrag erhält, die Frohe Botschaft zu verkünden (siehe Johannes 20:17). Sie wird damit zur ersten Apostelin. As far as the gospel concerns this is the end of Mary Magdalene. Doch gleich nach Erfüllung des Auftrags verschwindet die Schlüsselfigur des Ostergeschehens aus den kanonischen Evangelien. Der leere Raum, den sie hinterlässt, wird zum Nährboden abenteuerlicher Legenden. Aus der Apostelin Apostolorum (der Apostelin der Apostel) wird in der von Männern besetzten institutionalisierten Kirche die reuige Sünderin. Aus der Sünderin die asketische Büßerin. Aus der Büßerin ein laszives Pin-up-Girl der Kunst. Heute wird Maria Magdalena vielfach als Ehefrau Jesu interpretiert. Aber ist auch dies nicht bloß eine weitere Übermalung, aus unserem Zeitgeist heraus geboren?

Eine folgenschwere Fehlinterpretation erfuhr auch Junia, die als wichtiges Bindeglied zwischen der Jesus-Bewegung und dem frühen Christentum gilt. Von den ersten Kirchenvätern noch als berühmte Apostelin gepriesen, erfährt sie im Mittelalter eine folgenschwere Geschlechtsumwandlung. Unter der Feder des Bibelkommentators Ägidius von Rom wird aus Junia ein Apostel namens Junias. Das Versehen eines unausgeschlafenen Augustiners? Oder Ergebnis eines männerorientierten Weltbildes? Und warum fristet Apostelin Junia in allen gängigen erweiterten Bibelausgaben bis heute ein Dasein als Mann?

Eine Professorin und eine Wissenschaftlerin zum Thema

Professorin Elisabeth Schüssler-Fiorenza ist Pionierin der feministischen Theologie und Autorin zahlreicher Publikationen zu diesem Thema:

„Nach jüdischer Tradition salbt der Prophet den Messias oder den König. Von daher hat das Markus Evangelium eine ganz wichtige Funktion – oder die Frau hat eine ganz wichtige Funktion im Markus Evangelium: Weil“ (man behaupten könnte, dass) „durch eine Frau Jesus zum Messias erklärt wird.“

Die Bibelwissenschaftlerin Andrea Taschl-Erber hat ein Standardwerk über Maria von Magdala geschrieben. Hier erklärt sie, wie es dazu kam, dass aus der Heiligen eine Hure wurde:

„Die Überlieferung, dass Maria Magdalena als Erste den Auferstandenen gesehen und von ihm den Auftrag zur Verkündigung bekommen hat – das ist natürlich eine Geschichte, die in der damaligen Gesellschaft und Weltordnung provokant war. Subversiv könnte man sagen. Und die Kirchenväter haben durchaus nach Strategien gesucht, wie sie diesen Verkündigungsauftrag der Maria von Magdala, der ja im Widerspruch steht zu dem allgemeinen Lehr-, und Verkündigungsverbot der Frauen, kontrollieren können. Eine dieser Strategien ist, Maria von Magdala in Verbindung mit Eva zu bringen, mit der ersten Frau, die die Sünde, den Tod in die Welt gebracht hat. Und zu sagen: Das, was am Ostermorgen passiert, das ist so etwas wie die Wiedergutmachung des ersten Sündenfall, damit die Heilsgeschichte wieder ins Lot kommt. Diese ganze Geschichte: Frauen sind Sünderinnen, und Maria von Magdala ist eine Vertreterin dieses sündigen Geschlechts – das wird später so dominant, dass es nur mehr ein Schritt ist, sie selber dann auch als Sünderin zu stilisieren.

Wir haben sie heute weniger als mächtige Heilige im Kopf, sondern eher als diese erotische Sünderin, diese Büßerin, die lasziv am Boden liegt oder kniet. Da kommt sehr viel Erotik ins Spiel. Und diese Erotik war dann vielleicht auch in der Neuzeit ein Grund, warum diese Figur so beliebt geworden ist. Man hatte eine Femme Fatale im Christentum. Die die Hure-Heilige in einer Person ist, obwohl das ja nicht die eigentliche Geschichte der Maria Magdalena ist.“

Gleichstellung zur Zeit der Bibel?

Die Frankfurter Theologin und Professorin Ute Eisen ist Spezialistin für Lydia, Phöbe und Junia. Sie möchte, dass wir das Neue Testament mit neuen Augen betrachten:

„Frauen waren mobil. Frauen waren berufstätig. Frauen waren gemeindeaktiv. Das lässt sich nicht nur im Neuen Testament beobachten, es zeigt sich auch in anderen antiken Schriften. In Inschriften wird das deutlich. Dieser Versuch, Frauen im Grunde in diese Mutter- und Familienrolle zu pressen, funktioniert einfach nicht, wenn man die Quellen ernst nimmt.

Der Römerbrief des Paulus ist vor allem wegen der Grußliste im sechzehnten Kapitel interessant. Diese Grußliste umfasst sechzehn Verse und es werden achtundzwanzig Christen und Christinnen in der Gemeinde in Rom von Paulus gegrüßt. Diese Grußliste ist deshalb besonders interessant, insbesondere natürlich auch für die Gegenwart, weil hier ein Drittel Frauen gegrüßt werden. Das ist doch das, was wir heute fordern: Ein Drittel Frauen in entsprechende Positionen! Und das können wir hier schon in frühchristlichen Gemeinden beobachten. Die hatten das schon umgesetzt. Natürlich wollen wir ja mehr als nur ein Drittel. Mindestens fünfzig Prozent…“

Dieses Thema der Gleichberechtigung der Frau in der Kirche ist Gott sei Dank obsolet geworden in meinem persönlichen Umfeld, aber für viele ist es noch ein langer Weg dahin.

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M.S.
M.S.
1 Jahr her

Uta Ranke-Heinemann, die leider kürzlich verstorben ist, hat ebenfalls viel in diese Richtung geforscht und publiziert, kann ich als Lektüre nur empfehlen.

E.K.
E.K.
1 Jahr her

„Wir haben sie heute weniger als mächtige Heilige im Kopf, sondern eher als diese erotische Sünderin, diese Büßerin, die lasziv am Boden liegt oder kniet. Da kommt sehr viel Erotik ins Spiel.“
=> Haben wir? Also ich glaube die letzten Begriffe, die mir bei ihr in den Sinn gekommen wären, sind solche wie „erotisch“.comment image
Mich würde aber insgesamt interessieren, wieviel Christen Maria Magdalena als jene Frau der Fußwaschung ansehen. Für mich waren dies immer zwei unterschiedliche Personen. Ein textliche Komponente lässt auch die Hypothese zu, dass es sich um Christis Ehefrau handeln könnte.

F.K.
F.K.
1 Jahr her

Nicht zu vergessen, dass es ein Evangelium nach Maria (Magdalena) in den neutestamentarischen Apokryphen gibt. Sie ist diejenige, die von Jesus mehr geliebt wurde als andere Jünger, so wird berichtet und sie fragen sie um Rat und nehmen ihn dann auch an, so verstehe ich das Ende.

T.K.
T.K.
1 Jahr her
Reply to  F.K.

zu F.K.: Ich glaube nicht, dass man sich auf das „Evangelium der Maria“ beziehen will – eine Schrift von ca. 160 n. Chr. mit gnostischen Tendenzen. Der Text ist insofern interessant, da er vermutlich die Fragestellung der Rolle der Frau im 2. Jahrhundert aufgreift und thematisiert. Auf Jesus etc. sind diese Aussagen aber wohl kaum zurückzuführen (sondern spiegeln den Diskurse zur Zeit der Abfassung wider).
Für Alle zur Information und Einordnung: Hier der Beitrag der Bibelwissenschaft und hier eine englische Übersetzung der Fragmente