Bestimmung von Wahrheit anhand von geistigen Gefühlen

Die wohl vorhersehbarsten Fragen, mit denen ich bisher in meiner Glaubensveränderungsphase von glaubenstreuen Mitgliedern und lokalen Kirchenführern konfrontiert wurde, lauten in etwa: „Hattest du nicht bereits ein Zeugnis bzw. eine geistige Bestätigung, dass die Kirche wahr ist?“ oder „Hast du nicht damals die Wahrheit der Kirche selbst gefühlt?“
Die Frage ob und wie man die Wahrheit oder Unwahrheit einer Kirche messen bzw. bestimmen kann ist für viele Betroffene aktueller denn je. In diesem Beitrag nun drei Rückfragen von mir an die oben erwähnten Kirchenmitglieder, die sich wundern warum Menschen wie ich auf die Methode der gefühlsbasierten Wahrheitsmessung nicht mehr vertrauen.

 

Drei Rückfragen an Kirchenmitglieder, die sich wundern warum andere nicht mehr auf die Wahrheitsmessung anhand von geistigen Gefühlen vertrauen

FRAGE NR. 1
Wenn viele Gläubige anderer Kirchen behaupten, durch geistige Gefühle die alleinige Wahrheit ihres Glaubens erfahren zu haben….wie kannst Du so genau wissen, dass Deine eigene Eingebung bezüglich Deiner Religion die richtige ist? Wie kann ich sicher gehen, dass andersgläubige Anwender der Methode mit ihrer Schlussfolgerung falsch liegen aber Du als HLT richtig?

Im nachfolgenden Videoclip werden Zeugniserfahrungen von Bekehrten verschiedener Religionen dargestellt. Mir wurde durch diese Aufnahmen bestätigt, dass außer uns HLT-Mitgliedern sehr viele andere aufrichtige Gläubige davon überzeugt sind aufgrund gefühlsbasierter, geistiger Eingebungen die „Wahrheit“ ihrer Religion erkannt zu haben:

Ich habe kein Problem damit, wenn jemand meint, den richtigen Weg für sich selbst erkannt zu haben. Es ist jedoch wenn wir von absoluter Wahrheit und dem einzig richtigen Weg für alle Menschen sprechen unmöglich, dass alle unterschiedlich gläubigen Anwender der Methode recht haben können. Das lässt wie bereits angedeutet ernsthafte Zweifel an an der Verlässlichkeit und Genauigkeit dieser Herangehensweise aufkommen.

„Wenn Gottes Methode, Wahrheit zu offenbaren, auf Fühlen beruht, ist es eine sehr ineffektive Methode. Wir haben tausende Religionen und Milliarden von Anhängern dieser Religionen, die sagen, ihre Wahrheit sei Gottes ‚Eine Wahrheit‘ und alle anderen lägen falsch, weil sie gefühlt hätten, wie Gott oder der Geist Gottes ihnen die Wahrheit offenbart habe.“
Jeremy Runnels, Brief an einen CES-Direktor

 

FRAGE NR. 2
Wie kann ich einer „geistigen Bestätigung“ vertrauen, die ich in einer Phase erhielt wo ich nur Materialien der Kirche gelesen habe bzw. lesen durfte?
Viele von uns sind auf Mission gegangen und haben sich dort intensiv mit den Lehren der Kirche befasst. Warum? Erstens weil wir gehorsame Missionare waren und zweitens weil wir im Grunde genommen nichts anderes lesen durften als die Heiligen Schriften und Missionsmaterialien. Das Missionarshandbuch schreibt vor, dass Vollzeitmissionare nur Büchern, Zeitschriften, etc. lesen sollen, die „von der Kirche autorisiert“ wurden. Dennoch war unsere Mission für viele von uns der Ort, wo wir überzeugt waren unser „Zeugnis“ erhalten zu haben.
Jeder von uns sollte sich fragen, ob wir auf unserer Mission wirklich eine ausreichende Basis an Fakten hatten, um die Wahrheit der teils wissenschaftsrelevanten Wahrheitsbehauptungen der Kirche zu überprüfen. Wie kann man die Wahrheit wissenschaftsrelevanter Wahrheitsbehauptungen wie z.B. der Aussage „Das Buch Mormon ist ein authentischer Bericht über Völker, die früher auf dem amerikanischen Kontinent gewohnt haben“ herausfinden, ohne Erkenntnisse von Historikern, Archäologen, Geologen, DNA-Forschern und sonstigen Wissenschaftlern mit einzubeziehen? Ist es nicht zumindest ein wenig unvorsichtig, sich dabei einfach auf kirchenautorisierte Quellen und die geistigen Gefühle zu verlassen, wo wir doch davon ausgehen können, dass eine Organisation kaum Materialien zur Lektüre vorschlagen wird, die ihre eigenen Wahrheitsbehauptungen in Frage stellt und wo wir uns weiter oben damit beschäftigt haben, wie unzuverlässig die Methode der „geistigen Bestätigung“ eigentlich ist?

 

FRAGE NR. 3
Darf bzw. sollte man aufgrund einer Überzeugung von einem Teilaspekt der Kirche auf die Wahrheit aller anderen Aspekte schließen?
Eine der häufigsten Methoden, wie Mitglieder ihr Zeugnis von der Kirche erlangen, ist, dass sie von einem Teilaspekt überzeugt sind, und dann darauf schließen, dass alles andere auch stimmt. Eine Schwester in meiner Heimatgemeinde berichtete mir bspw., dass sie glaubte, dass das Wort der Weisheit inspiriert sei und deswegen auch von der Wahrheit der Kirche als Ganzes überzeugt war.

Manche andere glauben, dass wenn das Buch Mormon wahr ist, auch die Kirche wahr sein muss. Das Problem bei dieser Art von Schlussfolgerung: Manche Glaubensanhänger anderer Kirchen stützen sich ebenfalls auf dasbild Buch Mormon und schließen daraus, dass ihre eigene Kirche die richtige ist. Solche Zeugnisse anderer Mormonen können, wie wir seit dem CES Letter wissen, z.B. folgendermaßen aussehen.

Ein FLDS-Mitglied im Jahr 2014: „Ich weiß, Joseph Smith war ein wahrer Prophet. Ich weiß,die Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist die einzige und wahre Kirche. Ich weiß, das Buch Mormon ist wahr. Ich weiß, Warren Jeffs ist heute der wahre Prophet des Herrn.“

Ein RLDS-Mitglied im Jahr 1975: „Ich weiß, Joseph Smith war ein wahrer Prophet. Ich weiß, die Reorganisierte Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist die einzige und wahre Kirche. Ich weiß, das Buch Mormon ist wahr. Ich weiß, W. Wallace Smith ist heute der wahre Prophet des Herrn.“

Ein LDCJC Mitglied im Jahr 2014: „Ich weiß, Joseph Smith war ein wahrer Prophet. Ich weiß, die Latter Day Church of Jesus Christ ist die einzige und wahre Kirche. Ich weiß,das Buch Mormon und das Buch Jeraneck sind wahr. Ich weiß, Matthew P. Gill ist heute der wahre Prophet, Seher, Offenbarer und Übersetzer.“

Zusammengefasst bedeuten diese Aussagen, dass die typische Zeugniskette: „Weil das Buch Mormon wahr ist, ist auch meine Kirche wahr“ nicht zuverlässig funktionieren kann, denn viele verschiedene Mormonen unterschiedlicher Denominationen berufen sich auf dieses Buch und sie glauben zu wissen, dass ihr eigener Prophet und ihre eigene Kirche einzig wahr sind, aber stehen damit untereinander im Widerspruch.

Ich persönlich sehe als einzigen Ausweg, dass ich den schweren Weg wähle, und mir über alle Lehren und Richtlinien der Kirche für sich genommen eine eigene Meinung im Einklang mit meinen eigenen Nachforschungen, Gedanken und Werten bilde. Dass ich dies durch persönliches Gebet ergänze, darf dann gerne sein, wenn ich mich dazu bewegt fühle. Dabei kommt dann folgendes heraus: Ich persönlich glaube an die christliche Lehre der HLT-Kirche dass wir voll von Mitgefühl, Vergebung und Nächstenliebe sein sollten, ohne aber zu glauben, dass Christus homosexuelle Paare und die bei ihnen lebenden Kinder von den heiligen Handlungen ausschließen würde, wie die Kirche es seit November 2015 tut. Ich glaube dass es sinnvoll ist, dass wir keinen Alkohol trinken und halte mich selbst daran, glaube aber nicht dass dies eine Vorraussetzung für den Tempelbesuch sein sollte. Ich glaube dass das Buch Mormon inspirierende christliche Inhalte aufweist, aber glaube nicht der Behauptung, dass das Buch Mormon ein historischer Bericht ist. Usw. Usw.

Zum Schluss

Liebe Schwester, lieber Bruder, ich hoffe Du hast Dir eine Antwort auf diese Fragen überlegt und teilst sie mir mit. Ich bin genau so ernsthaft daran interessiert, Wahrheit herauszufinden wie Du. Wenn ich mit meinen Fragen völlig daneben liege, lass‘ es mich bitte wissen aber bitte tu mir den Gefallen und begründe mir dies.

Selbst bin ich davon überzeugt, dass eine einzige Erkenntnisdimension (wie z.B. mein Gefühl) unzureichend ist, um die Wahrheit eines Sachverhalts zu bestimmen. Selbst Lehre und Bündnisse lehrt, dass nicht nur das Herz, sondern auch der Verstand wichtig ist. (LuB 8:2) Jedoch gibt es darüber hinaus viele wertvolle Quellen, auch viele externe Quellen, die ich heranziehen kann und sollte, um meinen Verstand bezüglich einer Entscheidung zu informieren. Gerade wissenschaftsrelevante Wahrheitsbehauptungen der Kirche sollten auch anhand externer Quellen überprüft werden, damit wir unserem Ideal, nämlich dass wir nach Wahrheit streben, gerecht werden können. Dass es zu einseitig wäre, dem Verstand nur Informationen von offizieller Kirchenseite zu füttern, braucht man glaube ich nicht mehr erwähnen.

Ich möchte mit den Worten von Präsident Hugh B. Brown enden:huge_b_brown1

„Wahrheit wird häufig an unerwarteter Stelle gefunden. Man sollte offen und furchtlos darauf bestehen, dass Fakten wesentlich wichtiger sind als irgendwelche liebgewonnenen fehlerhaften Glaubensvorstellungen, egal wie unangenehm die Fakten und wie angenehm die Glaubensvorstellungen sein mögen.“ (Conference Report, October 1962, pp. 40-43)

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Adelheid Schnell
Adelheid Schnell
7 Jahre her

Hallo, lieber Bruder, ich bin 72 Jahre alt und schon 47 Jahre Mitglied der HLT-Kirche, die längste Zeit in Paderborn und eine geringe Zeit in Bielefeld. Als ich mit 25 Jahren getauft wurde, hatte ich bereits vorher schon ein festes Zeugnis von Christus als unserem Erlöser und dem Erlöser der ganzen Erde. In einem Waldhaus im Saarland, wo ich fernab von den Standards der Zivilisation, ohne fließendes Wasser und ohne elektrischen Strom, mitten in der Natur aufgewachsen bin, hatte ich dort schon ein wunderbares Erlebnis darüber, mit welcher Energie die Bäume, das Tal, die ganze Natur sich nach der Erlösung durch Jesus christus sehnen. Ich sah meinen eigenen Schutzengel, der mich schon vor vielen Gefahren bewahrte. Später aber als ich in der Zivilisation sehr einsam war und Medizin studierte, wußte ich nicht weiter und ein Engel gab mir Mut ein Semester in Wien zu studieren und dort wurde ich zur HLT-Kirche geführt. Damals war noch mehr Freiheit erlaubt. Der Bischof der Wiener Gemeinde war Br. Wondra, der Indendant vom Burgtheater. Das Buch Mormon war für mich ein Wunder sondersgleichen und der Prophet Joseph Smith ein wahrer Prophet und daraus folgend war alles andere, auch der Tempel, wahr. Hier schon möchte ich vermerken, dass die Erkenntnisse, die wir machen dürfen sehr individueller Natur sind. Unsere innere Bereitschaft für Erkenntnisse hängt von unserer Abgeschiedenheit von dem „Negativen“, „Prophanen“, was andere „Welt“ nennen, ab. — Aber schon zwei Jahre später, bevor ich vom Saarland nach Paderborn umzog, weil ich dort einen Bruder besser… Weiterlesen »

Folkhard
Folkhard
7 Jahre her

Amen, liebe Schwester.

Folkhard
Folkhard
7 Jahre her

Der Ausgangspunkt beeinflusst das Ergebnis Das Video fand ich aus mehreren Gründen sehr schön. Es hat mir gezeigt, dass Gott alle Menschen gleich behandelt, die nach ihm suchen. Wer sagt denn, dass die Antwort immer zur HLT Kirche führen muss? Wenn ich davon ausgehe, dass es so viele Entwicklungsebenen gibt wie Menschen auf der Welt, dann glaube ich, dass jeder Mensch entsprechend seiner Ebene, Führung von Gott erhält. Apostelgeschichte 17:26-28 http://www.bibleserver.com/text/EU/Apostelgeschichte17 26 Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt. 27 Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern. 28 Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art. Für mich bedeutet das, dass alle Menschen, die aufrichtig Gott suchen, Ihn auch da finden können, wo sie gerade sind, und was ihnen in diesem, spezielle Entwicklungsstand hilft, Ruhe und Frieden zu finden. Das sind doch wohl gute Voraussetzungen für Entwicklung. Wenn dann auf einer Ebene genug gelernt und gereift wurde, ist man für den nächsten Schritt bereit. Ich habe nie ein Zeugnis empfangen, wie einige im Video berichten. Trotz beten und faste. Als ich das „Buch Schöpfung im Wort“, von Friedrich Weinreb gelesen habe, empfand ich Frieden und Ruhe und Heilung für meine Seele. Jetzt, nach Jahren der inneren Reifung, kann ich Das Buch Mormon… Weiterlesen »

Folkhard
Folkhard
7 Jahre her
Reply to  Guido

Genau. Habe mal einen Br. aus der Kirchenführung Europa, der unsere Pfahlkonferenz besuchte gefragt, wie ich zwischen den “ Wunsch der Gedanken“ und einer echten, wahren Antwort unterscheiden könne. Er meinte: “ Üben, üben,üben“. Ich glaube, dass die Fähigkeit, da richtig unterscheiden zu können, mit der Erfahrung einhergeht, auch manchmal falsch zu liegen.

Alexandra
Alexandra
6 Jahre her
Reply to  Guido

Hallo Guido!
Da hast du vollkommen recht und genau das, was du gerade gesagt hast, ist die Art und Weise, wie wir Goettliche Offenbarung erhalten, und wie es ist der Kirche gelehrt wird.
Wenn der Geist des Herrn wirkt, wird auch der Verstand erleuchtet und nicht nur das Herz erweitert und warm und es macht einfach Sinn.

David
7 Jahre her

zum Thema Wahrheitsfindung und geistige Bestätigung:

„Ich selbst muss immer für möglich halten, mich zu irren. Jede meiner Taten und Überzeugungen muss ich kritisch hinterfragen. Die Erkenntnisse, welche ich aus mir heraus gewinnen kann, unterliegen meiner subjektiven Vernunft. Objektive Vernunft (oder absolute Vernunft, wie Hegel sie nennt) ruht per Definition nur in Gott und daher ist er die einzige Quelle und letzte Autorität, die (wieder per Definition) nicht hinterfragt werden muss, geschweige denn kann.“

http://tripmine.wix.com/licht-und-wahrheit#!Absolute-Wahrheit-oder-Wie-wir-uns-auf-unserer-Suche-nach-Wahrheit-gelegentlich-selbst-im-Weg-stehen/cu6k/577b7ada0cf2c9f8a0f3b706