„Wir glauben nur sehr schwer an das, was uns nicht passt“

Community-Beitrag von Frank

Warum glauben eigentlich die meisten aktiven Mitglieder immer noch an die Wahrheit der Kirche?

Ich denke dabei nicht an die, die sich noch nie mit der Kirchenhistorie befasst haben. Die Frage richtet sich eigentlich mehr an die normalen vernünftigen Mitglieder, mit einem gewissen Intellekt, die schon Kontakt hatten, mit dem einen oder anderen seltsamen Thema aus der Kirchengeschichte. Den Großteil der aktiven Mitglieder meiner Gemeinde würde ich diesem Personenkreis zuordnen.

Ein Leben ohne Kirche ist nach jahrelanger Mitgliedschaft für die meisten Aktiven nur schwer vorstellbar, erst recht wenn auch Familie und Freunde in der Kirche voll dabei sind. Und alles klingt doch auf den ersten Blick so sinnvoll: Bündnispfad mit ewiger Ehe, Plan der Erlösung bis zum ultimativen Aufstieg zur mächtigen Gottheit – das ist doch sehr verlockend. Wer möchte an diesem Weltbild nicht gerne festhalten?

Auf dieses Weltbild trafen in den letzten Jahren zahlreiche neue unliebsame Erkenntnisse. Man könnte meinen, dass diese Erkenntnisse die Mitglieder in Strömen aus der Kirche treiben. Dem ist aber in diesem Ausmaß nicht so und das liegt an unserem Gehirn.

Die Hirnforschung sagt:

„Wir glauben nur sehr schwer an das, was uns nicht passt!“

Es ist nicht so, dass neue Erkenntnisse automatisch zu einem Umdenken und neuen Weltbild führen. Vielmehr wird die neue belastende Information abgewertet, relativiert und in Frage gestellt, wenn sie nicht schon im vorhinein erfolgreich vermieden werden konnte. Das ist für die eigene Psyche durchaus sinnvoll, denn wenn das Weltbild und die neuen Erkenntnisse nicht in Einklang gebracht werden, bleibt die kognitive Dissonanz und damit ein psychisch belastender Konflikt.

Man kann sich nun fragen, welchen evolutionären Vorteil hat diese Art zu denken für den Menschen. Wäre es nicht einfacher immer das Weltbild anzupassen?

Schon seit Urzeiten sind wir Menschen Gruppenwesen. Eine starke Gruppe zeichnet sich durch ein geeintes Weltbild aus. „Wir sind die gute Sippe, auf der anderen des Flusses ist die böse.“ Diese Einstellung hilft im Kampf um Ressourcen. Das Denkprinzip begleitet uns bis in die Gegenwart. Man wird von einem Putin-Anhänger nur hören, „Der Westen ist das Böse, wir sind die Guten und der Einmarsch in die Ukraine gerechtfertigt.“ Und das gleiche gilt für Joseph Smith, welche Lehre er auch immer eingeführt hat, sie kam von Gott und ist gut.

Fazit: Ausgerechnet unser evolutionäres Gehirn empfiehlt uns unser Weltbild nicht so schnell zu ändern, also in der Kirche zu bleiben. Weil es viel mehr emotional als logisch denkt. Aber wenn die eigene Frau, wie bei mir, sowieso an was anderes glaubt und Gott für die Kinder keine große Rolle spielt, dann kann man sich auch mal leisten, sein Weltbild zu korrigieren.

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O.K.
O.K.
1 Jahr her

Dazu gab es doch erst kürzlich einen Podcast bei Mormon Stories. Wer mit der Art von John Larsen klar kommt, der kann sich das gern anhören.

A.L.K.
A.L.K.
1 Jahr her

Ich hab letztens wieder mal mit noch aktiven Familienmitgliedern gesprochen und meine Herausforderungen geteilt. Die Resonanz war sehr unterschiedlich – von: „Diese Themen sind nicht erbauend.“ – „Mit dem will ich mich nicht auseinandersetzen,“ bis zu: „Ja, ich hab die selben Fragen und niemanden mit dem ich darüber reden kann,“ war alles dabei.
„Du musst dich entscheiden was du glauben willst,“ – war auch dabei.

D.V.
D.V.
1 Jahr her
Reply to  A.L.K.

Ja, der Satz trifft es sehr gut, wie aus „gutem Grund“ das Ganze beiseite geschoben wird. Schließlich ist jedes unangenehme Gefühl vom Satan.comment image
Aber schön, dass es wen gibt der/die etwas nachvollziehen kann!

A.L.K.
A.L.K.
1 Jahr her
Reply to  D.V.

@D.V.: Ich bin draufgekommen, dass sich selber sehr viele einreden, dass es niemanden gibt, mit dem sie darüber sprechen können. Die Angst, nicht die Schuld am Unglauben haben zu wollen, kann da teilweise sehr lähmen.

A.S.
A.S.
1 Jahr her
Reply to  A.L.K.

@A.L.K.: Da hast du ja eh ein schönes Spektrum. Bei meiner Schwiegerfamilie gibt’s nur: die Blase schön luftdicht unter Verschluss halten – und: “ was ist denn mit euch los, ihr armen verwirrten Seelen?“

A.L.K.
A.L.K.
1 Jahr her
Reply to  A.S.

@A.S.: Ja es gibt wirklich alles, von Hass bis „das ist das Beste“ ist alles dabei. Mit denen mit Scheuklappen zu reden, finde ich anstrengend und nicht immer leicht. Vorallem die Enttäuschung und den Schmerz zu sehen, den ich verursache. Da braucht es gutes Abgrenzen – „Dein Schmerz ist nicht meiner!“ – und ehrliches Einstehen, was ich für mich selbst brauche. Ob jemand seine Blase mit einer extra Schutzschicht bedeckt, kann ich eh nicht beeinflussen. Ich hoffe, dass hier gegenseitiger Respekt eine gute Gesprächsbasis ermöglicht. Wenn man als „vewrirrte Seele“ wahrgenommen wird, braucht‘s sicher eine extra Portion an Geduld und Selbstschutz!

A.S.
A.S.
1 Jahr her
Reply to  A.L.K.

@A.L.K.: Das mit dem Respekt gegenüber denen, die die HLT verlassen haben, ist halt nicht Bestandteil der Doktrine.

H.S.
H.S.
1 Jahr her
Reply to  A.L.K.

Am Anfang sind alle Parteien wahrscheinlich etwas überfordert. Kritik an der Kirche wird auch gerne mal persönlich genommen – meistens legt sich das und ist vor allem, wie du schon geschrieben hast, ein Schutzmechanismus. Ich will das deshalb nicht kleinreden, denn das kann natürlich auch weh tun, aber häufig legt sich das. Wenngleich ich niemandem gegenüber sauer war, kommt am Anfang für einen vieles auch sehr heftig und das ist für das Umfeld auch nicht immer einfach. Meine Frau und ich haben damals einen sehr langen offenen Brief geschrieben, in dem wir ausführlich erklärt haben, warum wir Dinge kritisch sehen bzw. nicht mehr glauben. Es gab die unterschiedlichsten Reaktionen. Bis dahin, dass der Brief auch von aktiven Freunden an deren Freunde weitergeschickt wurde. Insgesamt hatten wir viele gute Gespräche, aber natürlich auch einige weniger schöne. Es ordnet sich vieles neu und man schlüpft in eine andere Rolle. Das war nicht immer schlecht, sondern häufig war es auch eine Chance, die natürlich auch mal schmerzhaft sein konnte. Ich habe einige Freundschaften sogar vertieft, andere haben sich gelockert bzw. man hat sich aus den Augen verloren, aber es haben sich sogar neue Freundschaften zu aktiven Mitgliedern aufgebaut. Wie gesagt – vieles braucht auch Zeit und die Kritik an der Lehre und die persönlichen Defensivreaktionen müssen sich oft einpendeln und das braucht manchmal Geduld und Verständnis auf allen Seiten. Ich denke es ist aber auch wichtig, dass man selbstbewusst bleibt. Wenn man etwas nicht versteht, dann können einem das die Freunde oder Familienmitglieder… Weiterlesen »

N.L.
N.L.
1 Jahr her

Was mir zu der Zeit meines Ausstiegs nicht in den Kopf wollte: wie konnten die Kirchenführer weiterhin die Kirche vertreten?! Die Hierarchie hochgehend konnte ich mir noch vorstellen, dass Bischöfe und vielleicht Pfahlpräsidenten teilweise noch von Unkenntnis über die Issues der HLT Kirche geschützt gewesen sein mögen. Aber alles was darüber kommt? Wie vertreten es die Siebziger, die Apostel, die Erste Präsidentschaft, zu behaupten, sie wären etwas, das sie nicht sind? Zu führen, aber wohin eigentlich und wofür? Müsste es nicht mehr Fälle geben, wo der moralische Kompass irgendwann dazu zwingt, die Reißleine zu ziehen? Mein eigener Ausstieg z.B. wurde dadurch beschleunigt, dass ich nicht mehr vor Gruppen von Mitgliedern Dinge lehren oder bezeugen wollte, die ich ziemlich sicher als Irrlehren oder Geschichtsverdrehung wusste. Wenn mir das schon so ging, dann müssten doch „die da oben“ hundert und tausend Mal so viele Gewissensbisse haben wie ich sie hatte. Oder reden die sich das schön, dass sie letztlich die einfachen Mitglieder schützen, vor was auch immer, vorm Platzen ihrer sicheren Blase, vorm Leben ohne die Illusion der Kenntnis eines Plans?

T.S.
T.S.
1 Jahr her
Reply to  N.L.

@ N.L.: Das Meme unten ist jetzt übertrieben einfach und böse, so ist Satire eben….aber es würde mich nicht wundern, wenn es bei einigen eine Rolle spielt.
Eine etwas weniger zynische Erklärung wäre, dass das im Großen und Ganzen recht intelligente Menschen sind. Und gerade intelligente Menschen (nicht allein am Bildungsgrad definiert) sind in der Lage, sich die Dinge so zurecht zu legen, dass sie ihre Ansichten, ihren Glauben usw. weiter für sich vertreten können. Natürlich nur bis zu einem gewissen Punkt und der ist bei jedem unterschiedlich. Und in der Kirche wird das – so mein Eindruck – als Tugend gelehrt.

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