Sunny: „Erst nach Reflektieren der Kirchenkultur, Klinik-Aufenthalt und Therapie habe ich gelernt, ICH zu sein.“

Ein Gespräch mit Sunny L. aus Wuppertal

Vor kurzem wurde Sunny unserer OF-Community vorgestellt, mit den Worten aus ihrem Outing:
Hallo liebe Freunde, dass was ich jetzt schreiben werde kostet mich viel Kraft und Mut und ist absolut nicht leicht für mich. Aber dieses Thema liegt mir am Herzen, unter Anderem weil es mich selbst betrifft. Ich, Sophie, möchte bitte Sunny genannt werden ab jetzt. Ich identifiziere mich als trans, genauer noch gesagt, als non-binär. Deshalb auch der Name Sunny. Dieser ist geschlechtsneutral und gefällt mir einfach besser. Trans Non-Binär bedeutet, dass ich mich weder 100% Frau, noch 100% Mann fühle, sondern, meist schwankend, irgendetwas dazwischen. Also ich identifiziere mich nicht zu dem Geschlecht, welches mir bei der Geburt zugewiesen wurde.
Und meine Sexualität ist nicht hetero sondern bisexuell/pansexuell. Mir ist bewusst, dass es sein kann das ich Freunde/Kontakte dadurch verliere. Aber das ist es mir wert. Ich möchte die Queere Community (LGBTIQ+) transparenter machen und zeigen das wir auch nur Menschen sind. Ich bin stolz, Teil der Regenbogen-Familie zu sein. Und nein, es ist keine Entscheidung oder Phase das ich oder allgemein Mensch so ist. Das sind wir. Meine Identität hat schon mein ganzes Leben in mir geschlummert. Aber jetzt lebe ich es. All die Jahre hat die Gesellschaft, Mitmenschen und vor allem auch Kirche mich als Mädchen gesehen und auch so erzogen. Rock oder Kleid tragen, brav/lieb sein, gehorchen, Mädchen pink etc… Das sind nur einige Beispiele. Klischees sind sowas von uncool und out. Wir leben im Jahr 2022 und es nicht selbstverständlich Menschen wie mich/uns zu akzeptieren und respektieren. Leute müssen sterben, werden umgebracht, geschlagen, gefoltert und sonst etwas, nur weil sie so sind wie sie sind. Das ist eine Schande und muss endlich aufhören. Um zum Schluss zu kommen: Danke das ihr bis hier her gelesen habt. Wenn ihr Fragen zu Begriffen habt, fragt Google oder mich. Wer mich nicht akzeptiert, respektiert etc….. dann Ciao. Bleibt gesund, passt auf euch auf und möge das Universum/Gott euch schützen.

Kannst du uns noch ein wenig mehr Background geben, wer du bist, wo du herkommst und wie du aufgewachsen bist?

Ich bin 24 Jahre alt, komme aus Sachsen, ursprünglich aus dem Pfahl Leipzig. Wohne aber seit 2018 in NRW. Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung zur Ergotherapeutin und arbeite schon seit über 3,5 Jahren in diesem Beruf. Mein Job gibt mir so viel, weshalb ich diesen nicht als Arbeit, sondern fast mehr als Berufung ansehe. Ich gehe als Therapeutin auf. Ich liebe es einfach Menschen zu helfen, die in ihrem Leben gerade Hilfe benötigen. Ich begleite sie gerne auf ihrem Weg und versuche ihnen ein Stück Lebensmut, Kraft und Hoffnung wiederzugeben, aber vor Allem ist es mir wichtig, ihnen beizubringen, wie sie trotz Einschränkungen selbstständig handeln und leben können.

Ich bin in die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage hineingeboren und aufgewachsen. Sie war und ist auch irgendwie immer noch Teil meines Lebens, auch wenn ich mittlerweile inaktiv bin. Ich habe zwei liebevolle Eltern und eine vier Jahre jüngere Schwester mit einer geistigen Behinderung. Meine Familie liebe ich über alles, auch wenn ich es nicht immer zeigen konnte. Wir waren nicht die Reichsten, aber wir hatten immer genug zum Leben. Auch wenn meine Eltern sich manchmal Sorgen machten, wie sie die Miete zahlen sollen. Meine Mutter war seit meiner Geburt zu Hause und hat danach sie nie wieder Vollzeit gearbeitet. Mein Papa war Vollzeit arbeiten.

Meine Kindheit und Jugend würde ich schon als sorgenfrei bezeichnen. Natürlich gab es Höhen und Tiefen, aber diese konnte ich bisher immer selber meistern. Als meine Schwester zur Welt kam, habe ich mich zuerst unbewusst und danach bewusst, über all die Jahre zurückgezogen. Also ich habe alle Probleme weitestgehend selber gelöst, die Schule alleine gerockt, sowie Ausbildung und den Umzug von Sachsen nach NRW. All das, weil ich meinen Eltern nicht zur Last fallen wollte und auch immer noch nicht will, da sie mit meiner Schwester genug zu tun haben. Ich habe sie einfach zu sehr lieb, um meine Probleme und Herausforderungen mit ihnen zu teilen.

Du erwähntest die kirchliche Erziehung als Mädchen und das du diese als ,“schwierig“ empfunden hast. Kannst du darauf näher eingehen? Was wurde dir beigebracht und wie fühlten sich diese Dinge für dich an?

Da ich in die Kirche hineingeboren wurde, mit ihr praktisch aufgewachsen bin, kannte ich nichts anderes. Ich bin brav in den PV (Primarvereinigung) gegangen, zu den Jungen Damen ab 12 Jahren und dann in den FHV (Frauenhilfsvereinigung) ab 18. Und natürlich, habe ich auch die ein oder andere Aufgabe/Berufung erfüllt. Ich habe in der Versammlung an der Orgel gespielt 1-2x im Monat und den Gesang so begleitet, aber auch dirigiert wenn ich mal nicht gespielt habe. Ich war mit etwa 16 Jahren Lehrerin in der Jugendsonntagsschule. Mit 17 Jahren war ich Erste Ratgeberin bei den Jungen Damen. Und kaum war ich 18 Jahre und raus bei den Jungen Damen, war ich auch schon bei ihnen Leiterin. Das war alles wirklich herausfordernd, habe ich aber teilweise auch gern gemacht. Aber hauptsächlich, weil man es von mir erwartet hat. Also es hat niemand direkt gesagt du musst, aber wer in der Kirche aufwächst, lernt bzw. weiß, dass man eine Berufung nicht ablehnen sollte. Ich hatte immer großen Respekt vor den Kirchenführern und mich nie getraut nein zu sagen. Einmal sagte ein Bruder zu mir: „Es heißt Ja oder Ja“. Das hat mich bis heute geprägt. Ab dem Punkt, fand ein Umdenken und Hinterfragen statt. Denn meiner Meinung nach hat diese Aussage nichts mit Entscheidungsfreiheit zu tun. Was sonst ja immer gepredigt wird.

Ich bin biologisch eine Frau und wurde auch so erzogen. Konservativ, als braves, gehorsames Mädchen. Wobei ich sagen muss, dass die Kirchenkultur mich mehr erzogen hat, als meine Eltern. ,“Die Kirche ist Gesetz“, so kam es mir jedenfalls vor. „Ja nicht auffallen“, war damals meine Devise, denn ich stehe ungern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ich habe das getan, was von mir verlangt wurde. Ich soll in einem Chor mitsingen, gut. Ich soll am Sonntag spielen, gut OK, mach ich. Oder spontan ein Zeugnis geben, eine Ansprache oder ein Gebet in der Versammlung geben, „Hhhm OK, ich mach’s“. Auch wenn es mir sehr oft nicht gepasst hat.

Mir wurde sogar mal gesagt, ich sei ein Vorzeige-Mitglied und Vorbild. Das hat mich zwar schon irgendwie stolz gemacht, aber das war nicht ICH so richtig und hat mich enorm unter Druck gesetzt. Mir wurde beigebracht, sittlich, rein, gehorsam, ehrlich und treu im Glauben zu sein und vieles mehr. Ein Mädchen, eine Frau hat ein Kleid oder Rock zu tragen, muss pfleglich und rein aussehen. Ich hatte natürlich einige Kleider und Röcke, habe die auch gerne getragen, ebenso auch mal Absatzschuhe. Aber das nur Sonntags. Sonst bin ich lieber sportlich, ,,jungenhaft“ herumgelaufen. Das hat auch besser zu mir gepasst. Auch wenn ich mich ab und zu geschminkt habe, kam ich mir nie als 100% Mädchen/Frau vor.

Ich habe mich sehr oft mit Allem, was die Kirche betrifft, überfordert gefühlt und gezwungen. Aber auch irgendwie Fake, als hätte ich eine Maske auf und spiele das brave Mädchen. Zugestanden, die Maske habe ich tatsächlich sehr sehr lange getragen, um allen zu gefallen
und es allen Recht zu machen. Erst nach dem Wegzug aus meiner Heimat und Reflektieren
der Kirche und Kirchenkultur, sowie einem Klinikaufenthalt und Therapie habe ich gelernt,
ICH zu sein. Und mein Leben zu leben, wie ich es gut und für richtig halte.

Wie machte sich deine sexuelle Identität zum ersten Mal bemerkbar?
Wie waren deine Reaktionen und die deines Umfeldes (Schule, Arbeit, Kirche, etc.) darauf?

Meine sexuelle Identität machte sich erst etwa mit 20/21 Jahren bemerkbar und meine Geschlechtsidentität schon sehr viel früher. Nur habe ich mein Leben lang mit niemanden darüber gesprochen, weil ich in der Kirche gelernt habe, dass es nur Mann und Frau gibt und auch nur die zusammen sein dürfen.

Ich habe mich 2022 im Februar auf Facebook öffentlich geoutet, bei meinen Eltern zu Weihnachten im vorherigen Jahr. Es war nicht leicht, aber musste sein, um aufmerksam zu machen und mehr Transparenz zu schaffen. Seitdem ich mich immer mehr von der Kirche distanziere, geht es mir besser.

Meine Arbeitskolleg*innen unterstützen mich und akzeptieren mich so wie ich bin. Meine Eltern geben sich auch Mühe das merke ich. Ihnen fällt es zwar noch schwer immer mich mit meinem neuen Namen (Spitznamen) anzusprechen, aber das ist OK.

Was hilft dir im Leben, aus deiner Position etwas Positives zu machen?
Wie könnten frühere Freunde und Glaubensgeschwister dir gegenübertreten, damit du dich wohl fühlst in ihrer Gegenwart?

In meinem Leben, hat mir lange Zeit mein Glauben geholfen und mein Mann. Vor allem in der tiefsten depressiven Phase meines Lebens. Als ich sogar suizidal war mehrfach und mich freiwillig in eine Klinik einweisen lies. Das war Anfang 2020. Ich würde mir wünschen wenn Freunde, Familie und meine Glaubensgeschwister lernen und sich eingestehen, dass es nicht nur schwarz und weiß, sondern auch Regenbogenfarben gibt, in all seinen Facetten. Die meisten die ich kenne, beharren stur auf ihrer konservativen, teils patriarchalischen, queerfeindlichen Meinung und das finde ich wirklich schade.

Aber ich war erstaunt, dass ich bei meinem Outing, nur positives Feedback bekommen habe.
Allerdings habe ich meinen Freundes- und Bekanntenkreis innerhalb der Kirche stark
reduziert. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ein Umdenken stattfindet.

Das Gespräch führte Guido Müller

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Ines Iglesias
Ines Iglesias
1 Jahr her

Hallo liebe Sophie, du weißt das ich dich immer so akzeptiere u liebe wie du bist u ich verstehe dich sehr gut. Zu jeder Zeit u immer habe ich mich in dich hineingefühlt u mein bestes gegeben um dich zu unterstützen. Doch liebes warum das alles in der Öffentlichkeit du bist so richtig u gut wie du bist . Brauchst du diese Aufmerksamkeit wirklich. Schau mal in dich Herzchen was kannst du da noch heilen denn wenn du heil bist braucht man die Öffentlichkeit nicht denk mal darüber nach. Dein Privatleben kennen die Menschen die dich lieben sehr gut . Doch es ist deine Entscheidung was du tust ich werde dich so lieben wie du bist.

Ines Iglesias Ines Iglesias
Ines Iglesias Ines Iglesias
1 Jahr her
Reply to  Guido

Hallo Guido ich bin Sofis Tante u ich kenne meine Nichte seid ihrer Geburt u ich liebe sie wie meine eigene Tochter. Und sie darf so sein wie sie ist. Es spielt keine Rolle in welcher Identität sie leben möchte sie ist immer richtig u gut so wie sie ist. Sie darf tun u lassen was sie will. Und wenn sie anderen Mut machen will ist das wunderbar. Doch hab auch ich als Mensch das Recht mich zu äußern ohne jemanden nahe zu treten. Und es tut mir sehr leid das du das schade findest was ich geantwortet habe ist mir aber egal. Ich sage was ich denke u gehe ehrlich u autark durchs Leben. Denn als Energie Therapeutin hab ich meine Erfahrungen gesammelt u weiß wer u was ich bin. Ich werde mich persönlich mit meiner Nichte austauschen denn privates gehört nicht in die Öffentlichkeit. Alles liebe für dich