„Für eine starke Jugend“ und warum die Kirche sich entschuldigen sollte

Guido Müller

Weil sich niemand in der Führung der HLT-Kirche (Mormonen) auch nur im Ansatz für Fehler und zugefügten Schaden zu entschuldigen scheint, übernehme ich diesen Part nochmal im Kontext der kürzlichen Änderung des Pamphlets „Für eine starke Jugend“ und der darin enthaltenen Richtlinien, die viele Jugendliche und Erwachsene in der HLT-Kirche bislang als Gebot betrachtet haben.

Erläuterung

Es sind nicht grundsätzlich alle Richtlinien in „Für eine starke Jugend“ schlecht, bzw. ich sehe es nicht so. Allerdings sollte man ein bisschen aufpassen, wenn man Menschen „im Namen Gottes“ Ratschläge gibt., die das Äußere betreffen. Und das ist leider versäumt worden, mit teils fatalen Folgen. Mir sind zahlreiche dadurch geschädigte Individuen bekannt – auch ich selbst hab‘ meinen Teil abbekommen. Hier werde ich nur einen kleinsten Bruchteil darstellen können, um die Probleme anzudeuten.

Zur Änderung

Grundsätzlich hat man ja nun mehr Freiheiten und es wird nicht mehr so genau ausdefiniert, ob man ein Tattoo haben kann, Piercings oder ähnliches. Auch bzgl. Kleidung ist man deutlich zurückhaltender geworden und übergibt den Mitgliedern mehr Verantwortung. Während diese Änderung SEHR begrüßenswert ist, fehlt wie fast immer etwas Entscheidendes: Eine Entschuldigung für den Schaden, den man die letzten Jahrzehnte mit diesen Richtlinien im Namen Gottes unter Mitgliedern und in Familien angerichtet hat.

ALTES PAMPHLET

NEUE VERSION

Übrigens: Die neue Version enthält zwar tolle Verbesserungen, aber auch wiederum vieles Toxische, für das ich hier keine Zier finde, um es auszudefinieren. Aber auch da sehe ich noch zahlreiche Red Flags.

+++ENTSCHULDIGUNGSSCHREIBEN 1 an NORA+++

WIR, DIE ERSTE PRÄSIDENTSCHAFT, die PROPHETEN, SEHER UND OFFENBARER, die SPRACHROHRE GOTTES, entschuldigen uns:

Liebe Nora (Name geändert),

es tut uns leid, dass Du aufgrund unseres schlechten Vorbildes beim Teilen Deines wunderschönen Tattoos auf Facebook von mormonischen „Nachfolgern Christi“ in Deiner Freundesliste moralisierend belehrt und indirekt verurteilt wurdest, anstatt das zu tun, was angebracht gewesen wäre: Sich einfach mit Dir freuen und Schönheit in dem sehen, was Du voller Freude und Überzeugung tust.

Gott war es schon immer wichtiger was für ein Mensch du bist und wie es in deinem Herzen aussieht. Durch den Fokus auf Körperbemalung und entsprechende Richtlinien dazu haben wir von diesem wichtigen Grundsatz abgelenkt.

Deine Brethren

+++ENTSCHULDIGUNGSSCHREIBEN 2 AN SABINE+++

Liebe Sabine (Name geändert),

es tut uns leid, dass Deine Tochter Dich aufgrund unserer fehlenden Einsicht und rückständigen geistigen Entwicklung in Verbindung mit einem Hang zum kontrollieren dafür verurteilt und in eine unrechtschaffene Schublade gesteckt hat, weil Du zwei Ohrringe an einem Ohr trugst statt der vom Propheten vorgegebenen Richtlinie von einem Ohrring pro Ohr. Derjenige, den wir als das Sprachrohr Gottes bezeichnet haben, der Gottes Willen selbst kundtut, hatte damals der gesamten Kirche mitgeteilt, dass man eben nur einen Ohrring pro Ohr tragen solle.

Dadurch, dass wir wie im Gesetz des Mose Rechtschaffenheit in Form von äußeren Geboten ausdefiniert haben, ist in Deiner Familie ein Riss entstanden.

Wir wissen, dass das keinerlei Wiedergutmachung ist, aber wir möchten diese Entschuldigung aussprechen, um deutlich zu machen, dass die Verantwortung für diesen Riss zwischen Dir und Deiner Tochter auch massgeblich mit bei uns zu suchen ist.

Deine Brethren

+++ENTSCHULDIGUNGSSCHREIBEN 3 AN JENS+++

Lieber Jens (Name geändert),

wir entschuldigen uns bei Dir von ganzem Herzen dafür, dass Du sooo viele Jahre Deines Lebens unter dem Gefühl gelitten hast, nicht mehr auf Deine eigene gesunde Intuition bzgl. Sexualität vertrauen zu können.

Wir hätten eigentlich niemals so starke äußere Vorschriften machen sollten.

Dummerweise sind wir erst durch einen verstärkten Mitglieder-Exodus dahinter gestiegen, dass wir jetzt etwas ändern müssen.

Auch dafür möchten wir uns entschuldigen. Es ist wirklich saudumm, dass wir immer erst Offenbarungen bzgl. notwendiger Änderungen erhalten, wenn unsere Zahlen schlechter werden. Wir versuchen zukünftig, früher vernünftige Änderungen zu machen und uns auch mehr zu entschuldigen. Wir sollten ja alle eigenverantwortlich Gott und unserem Gewissen folgen, und nicht ein paar Führern, die uns vorschreiben, wie wir über alles zu denken haben. We get it.

Deine Brethren

++++ENDE++++

DIE ENTSCHULDIGUNGSSCHREIBEN #4-2.000.000 werde ich jetzt nicht ausformulieren, aber auch die wären sehr sinnvoll gewesen. Ich denke die Botschaft kommt rüber.

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R.B.
R.B.
1 Jahr her

Einfach genial geschrieben. DANKE!

J.F.
J.F.
1 Jahr her

Sehr gut erkannt – das Problem ist, dass Oaks laut bekannt gab, dass die Kirche als Institution sich nicht entschuldigen wird.
Das war von 2015:
LDS apostle Dallin H. Oaks set off a global chain reaction among Mormons this week, when he said, he wasn’t sure apologizing for the faith’s past rhetoric on homosexuality would be advisable.
„I know that the history of the church is not to seek apologies or to give them,“ Oaks said in an interview Tuesday. „We sometimes look back on issues and say, ‚Maybe that was counterproductive for what we wish to achieve‘, but we look forward and not backward.“
The church doesn’t „seek apologies“, he said, „and we don’t give them.“
The Mormon leader made the same point, only stronger, Thursday during a video chat on Trib Talk by insisting that the word „apology“ doesn’t appear in LDS scriptures.
Many Mormons across social media have reacted with dismay at hearing, that an LDS apostle reject out of hand the idea of apologizing.

J.F.
J.F.
1 Jahr her
Reply to  J.F.

“I have no idea whether the word ‘forgiveness’ appears anywhere in the scriptures – the Bible or the Book of Mormon,” Oakes reiterated in a video chat with The Tribune the next day. “The word ‘forgiveness’ has a lot of meaning, and a lot of significance.”
Aber ab und zu geht es wohl dann dochcomment image fürs Mountain Meadow Massacre oder LDS Church issued a public apology On behalf of a member who performed proxy baptism rituals for the parents of Simon Wiesenthal, a Holocaust survivor and Jewish rights advocate.
The church does not apologize

N.L.
N.L.
1 Jahr her

Ich wünschte mir wöchentlichen echten Fokus in den sonntäglichen Versammlungen auf das Gebot, nicht über seine Nächsten zu urteilen. Es scheint mir, dass nichts größeren Schaden an den Mitmenschen anrichtet, als die andauernde unbewusste oder sorglose Missachtung dieses Gebots.
Das Gebot gehört von mir aus vorweg erläutert vor jeglicher Anleitung oder Anweisung wie beispieslweise der „Für eine starke Jugend“.
Davon abgesehen sind solche Anweisungen auch für mich etwas problematisch.
Kirchenführer, wie andere Führer auch, sollten mit gutem Beispiel vorangehen und zumindest Bedauern für unbeabsichtigte und ungewollte Folgen ihrer Worte und Entscheidungen ausdrücken und dann der Lehre folgen, die sie daraus ziehen.

G.E.
G.E.
1 Jahr her

ist schon spannend, wie unterschiedlich das innerhalb der Kirche/den einzelnen Gemeinden gesehen wird. Ich habe auch Tattoos und nie hat jemand ein negatives Wort darüber verloren. Im Gegenteil waren viele – auch ältere Geschwister – ehrlich interessiert, warum ich mich dafür entschieden habe und haben mir gesagt, wie schön sie es finden und viele jüngere Geschwister haben gesagt, dass sie sich auch tätowieren lassen möchten. (Sogar aktive Missionar*innen, die schon sehr genaue Vorstellungen von den Motiven hatten)